Zart hingetupft mit Geige, Gitarre und Bass, verzaubern die Moll-Klänge von Herman van Veens elegischer Ballade „Hinter unten am Deich“. Bevor aber alle hingebungsvoll in weltschmerziger Melancholie versinken erzählt der holländische Entertainer mit dem sanften Gemüt die Anekdote von seiner eigenen Zeugung am Ende des Zweiten Weltkriegs 1944. Die Hauptpersonen der Geschichte: Der Vater, ein Grafikers genannt Liebster, und die Mutter, genannt Schatz. Eine Hausfrau und Näherin, die alte schreckliche Klamotten in neue schreckliche Klamotten verwandelt hat. Während die Bomber über das Haus hinwegflogen, wurde Liebe gemacht. In der Schilderung eine urkomische Szene.
Schließlich wurde Herman van Veen im März 1945 im freundlichen „Tässchen-Kaffee-Land“ geboren. „Ich bin von nach dem Krieg und hoffe, dass das auch so bleibt“, sagt der niederländische Singer-Songwriter, Clown, Schriftsteller und Schauspieler mit Nachdruck bei seinem Konzert in der Philharmonie. Eine friedliebende Hoffnung, die das Publikum mit heftig aufbrandendem Applaus teilt. Aber natürlich versteht es der Menschenfreund und Bühnenmagier auch noch mit 77 Jahren, die Sorgen der Zuschauer umgehend mit einem berückenden Lied zu zerstreuen. Er singt einfach kunstvoll mit Kopfstimme in bester Countertenor-Manier „Papa“ und treibt reichlich Schabernack mit den hohen Tönen, bis wirklich alle herzerfrischend lachen.
Unter dem Konzerttitel „Mit dem Wissen von jetzt“ bietet der Sänger und Multi-Instrumentalist beste und (alters)weise Unterhaltung mit Tiefgang, der das für ihn so typische „traurige Glück“ innewohnt. Begleitet wird er dabei von seinen langjährigen musikalischen Weggefährten: Komponistin und Gitarristin Edith Leerke, Violinistin und Sängerin Jannemien Cnossien sowie Bassist Kees Dijkstra. Auch Tochter Anne und Schwiegertochter Claudia gesellen sich für einen Song dazu. Der Sound ist, wie immer bei Hermann van Veen, filigran und vornehmlich akustisch, mit einer enormen stilistischen Bandbreite.
Holländische Gemütlichkeit zieht in die Philharmonie ein
Mit ihnen hält auch die holländische Gemütlichkeit in der Philharmonie Einzug. Ein am Flügel festgebundener Luftballon zeugt davon. Rote Regenschirme bringen indes etwas Farbe ins Ambiente. Genauso wie Herman van Veens rote Strümpfe, auf denen er ein wildes Tänzchen mit seinem drei Meter langen, selbstredend roten Schal quer über die Bühne und zurück aufs Parkett legt. Spektakulärere Effekte braucht der Musiker nicht, der seit fast sechs Jahrzehnten im Rampenlicht steht. Bis heute hat er 180 Alben und mehr als 80 Bücher veröffentlicht. Dazu kommen noch etwa 500 Gemälde.
Ein gewaltiges Œuvre also, auf das der Poet und Geschichtenerzähler zurückgreifen kann. Wobei er durchaus Kontraste zu setzen weiß. Wie mit dem Arztbesuch im fortgeschrittenen Alter wegen einer „seriösen Verstopfung“. Der Plauderei folgen das wehmütige Liebeslied „Ich lieb‘ dich noch“, ein deutsches Cover von Jacques Brels Chanson „La chanson des vieux“, und das „depressive Liedchen“ „Warum bin ich so fröhlich“. Rasante Stimmungswechsel à la Herman van Veen. Wer das wunderbare Konzert verpasst hat, darf sich auf seine Konzertlesung „Mütter“ mit Gitarristin Edith Leerkes im März freuen.
Ernst-Reuter-Saal, Eichborndamm 215, Reinickendorf, Tel. 01806 570070, 23.3. um 20 Uhr