Ein ganz normaler Sonntagmorgen bei der Familie Holmes: Vater Peter (Alexander Khuon) schickt sich an, Speck zu braten, Mutter Alice (Kathleen Morgeneyer) fragt den 18-jährigen Sohn Alex (Niklas Wetzel) und Freundin Sarah (Wassilissa List), ob sie zum Frühstück bleiben. Der 15-jährige Sohn Chris (Jona Gaensslen) will später ein bisschen draußen mit dem Rad herumfahren. „Was für ein herrlicher Tag“, sagt Chris.
Es wird kein herrlicher Tag für die Familie Holmes, es wird ihr schlimmster werden. Der britische Dramatiker Simon Stephens zeigt in seinem Stück „Am Strand der weiten Welt“ eine Familie vor und nach der Katastrophe. In der Inszenierung von Daniela Löffner, die den Stoff an den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierte, dreht sich an diesem Wendepunkt nur der eine Reifen des Fahrrads, mit dem Chris vorhin davon düste, sirrend in der Luft. Chris ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
Ein Verstorbener singt Songs von Nick Cave
Plötzlich bricht hervor, was lange da war, aber nicht zur Kenntnis genommen wurde: Dass Opa Charlie (Peter René Lüdicke) zu viel trinkt und manchmal handgreiflich gegenüber seiner Frau Ellen (Barbara Schnitzler) wird. Dass die Ehe von Peter und Alice nach 20 Jahren eher mau läuft. Dass Alex hier sowieso längst raus will, am liebsten nach London. Sie alle aber können ihrer Trauer, ihren Schuldgefühlen, ihrem Unglücklichsein und einander nicht entkommen. Die Holmes haben den Boden unter den Füßen verloren.
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Sehr gelungen ist die Bühne, die ihnen Wolfgang Menardi dafür entworfen hat: Eine leicht schräg nach vorne geneigte, sich drehende weiße Scheibe, die aus mehreren breiten Ringen zusammengesetzt ist. Die Ringe verschieben sich versetzt, werden wieder zur glatten Fläche oder formieren sich spiralartig. Alle Personen sind die ganze Zeit auf der Bühne, stehen dann meist am hinteren Rand, zwischen Küchenmöbeln und Hausstandskram, schauen von dort den anderen beim Leben zu. Das sich vor allem in kurzen, schlaglichtartigen Alltagssituationen zuträgt. Mittendrin: Der eigentlich schon tote Sohn Chris. Er spricht nicht, singt aber sehr schön und melancholisch ein paar Nick-Cave-Songs.
„Am Strand der weiten Welt“: Zweisamkeit am Bühnenrand
Die Dialoge sind alltagsnah, gegenwartsprachlich. Trotzdem kommt man den Gefühlen dieser Menschen nur in ganz wenigen Momenten wirklich nah, obwohl einem ihre Tragik natürlich bewusst ist. Dabei hat Daniela Löffner schon oft bewiesen, dass sie präzise psychologische Figurenzeichnungen extrem gut beherrscht. An diesem Abend aber gerät manches zu hastig, zu wenig vorbereitet, zu ungenau oder überzeichnet.
Es gibt eine wunderbare Szene, die zeigt, wie es anders geht: Da sitzen Peter und Alice zu zweit vorne am Bühnenrand, zunächst voneinander abgewandt, die Blicke ausweichend, dann die Körper ganz allmählich und vorsichtig einander zuwendend. Da ist Ruhe, da ist Spannung, man spürt zwischen ihnen die Trauer um ihre Liebe, von der sie nicht wissen, ob sie für immer verloren ist. Dieser Moment sagt tatsächlich so viel mehr aus über die Ungewissheit des Lebens, das nach dieser familiären Tragödie vor ihnen liegt, als der fette (von Peter restaurierte) Holzbalken, der ganz am Schluss wie ein Damoklesschwert demonstrativ über dem Familienesstisch kreiselt.
Deutsches Theater (Kammerspiele), Schumannstr. 13a, Kartentelefon 28 441 225. Nächste Termine: 4. und 5. März.