Berlinale

"Sur L'Adamant": Psychisch Kranke als klarsichtige Künstler

| Lesedauer: 2 Minuten
Elena Philipp
Muriel (M.), eine der Patienten, beim Malkurs in der Begegnungsstätte.

Muriel (M.), eine der Patienten, beim Malkurs in der Begegnungsstätte.

Foto: © TS Production / Longride

Ein Film mit viel einfühlsamer Geduld und großer Offenheit: Nicolas Philiberts „Sur L’Adamant“ läuft im Berlinale-Wettbewerb.

Die Sonne glitzert auf der Seine. Ein Boot mit hölzernen Läden schaukelt am Ufer, fest vertäut. Eine sehr spezielle, utopische Einrichtung ist es, in die uns der französische Regisseur Nicolas Philibert in seinem Wettbewerbsbeitrag „Sur l’Adamant“ mitnimmt. Die Adamant dient als Tages-Center für die Patienten umliegender Psychiatrien.

Freiwillig sind die Gäste hier. Sie belegen Workshops wie Malen, Nähen, Tanzen. Beteiligen sich an der Organisation und verwickeln andere an der Theke in Gespräche oder helfen bei der Abrechnung, die nie den richtigen Betrag ergibt. Über fast zwei Stunden lernt man sie kennen: Muriel, die erst mal den Namen eines neuen Besuchers erfahren möchte, bevor sie an die Tagesordnung denkt, oder Alexis, dem Stimmen im Kopf die Sätze zerhacken.

Offen sprechen sie über ihren Zustand. François erklärt, ohne seine Medikamente unerträglich zu sein, Streit zu suchen. Intensiv wirkt er, wie er da auf Deck an seiner Zigarette zieht. Aber sehr klar, so wie alle, wenn man ihnen erst mal zuhört. Das tun Philibert und sein Team mit einfühlsamer Geduld und großer Offenheit.

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Als Künstler entpuppen sich die Gäste. Frédéric komponiert poetische Songs, Nadya singt mit volltönendem Alt die bulgarische Nationalhymne, Musik berührt sie alle. Ihre Kreativität macht sie zu Menschen im eigentlichen Sinn – das ist die Botschaft von „Sur l’Adamant“.

Wieso gelten sie als verrückt, fragt man sich irgendwann fast zwangsläufig. Einer der Gäste erzählt, dass er auf den Straßen von Paris die Blicke von Passanten spürt: „Wir haben wohl leicht brüchige Gesichter.“ „Seltsam zu sein ist eigentlich der Normalfall“, sagt auf der Pressekonferenz Linda De Zitter, die mit am Film gearbeitet hat und auf der Adamant tätig war.

Wer entscheidet, wer verrückt ist und wer nicht?

Schmal ist der Grat, der darüber entscheidet, wer als verrückt gilt und wer als funktional. Dieser Aspekt interessiert Nicolas Philibert nicht zum ersten Mal, sein Werk ist der Strömung der Antipsychiatrie verbunden. Wer erklärt andere für psychisch krank? Verstößt diese Stigmatisierung nicht gegen die Menschenrechte? Das wird hier nicht verhandelt, keinerlei Theorie stört die Beobachtung. Es genügt, den bedächtig montierten Tagesabläufen auf der Adamant zuzusehen, um zu verstehen, dass ein wertschätzendes Zusammenleben möglich wäre.

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