Was für ein ungewohntes Gefühl. Und was für ein schönes! Dass eine Berlinale wieder ganz „normal“, ohne Corona-Einschränkungen, stattfindet. Während noch vor einem Jahr der Berlinale Palast nur halb besetzt war und man trotz Impfung und Test doch Unbehagen hatte, ob man nicht einem Superspreader-Event beiwohnt, konnte man bei der Eröffnung der 73. Berlinale am gestrigen Donnerstag wieder unbekümmerter feiern.
Und alle kamen sie denn auch, die Stars des deutschen Films: die Schauspieler Iris Berben, Katja Riemann, Veronika Ferres, Elyas M’Barek, Florian David Fitz und Matthias Schweighöfer und die Regisseure Tom Tykwer, Maria Schrader und Volker Schlöndorff.
- Übersicht: Alle News zu Filmen, Promis und Veranstaltungen der Berlinale 2023 finden Sie hier
- Infos: Berlinale 2023: Tickets & Vorverkauf – Fakten im Überblick
- Promis: Stars der Berlinale 2023: Von Boris Becker bis Steven Spielberg
- Empfehlungen: Wo man während der Berlinale 2023 essen gehen kann
- Geschichte: Politik und Rummel, Stars und Skandale der Berlinale 2023
Claudia Roth: „Wir sind mit unseren Herzen bei Ihnen“
Aber nicht nur diese Größen sind anwesend, sondern auch auffallend viele Politiker. Die halbe Bundesregierung scheint anwesend, von Innenministerin Nancy Faeser über Wirtschaftsminister Robert Habeck bis Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Denn auch das ist klar: Hier wird nicht nur ein Neustart des Festivals nach zwei Jahren Corona-Auflagen gefeiert. Hier wird auch politische Haltung demonstriert.
Darauf verweisen schon die Festivalchefs Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, die noch einmal die Solidarität des Festivals unterstreichen: mit der Ukraine, mit der Protestbewegung im Iran . Und mit den Erdbebenopfern in der Türkei und in Syrien, für die an diesem Abend auch gespendet wird.
Lesen Sie auch: Kristen Stewart als Jury-Präsidentin: „Ich bin ein bisschen kribbelig“
Kulturstaatsministerin Claudia Roth greift das in ihrer Rede gleich auf. „Dürfte ich einen Preis vergeben, er ginge an für das Volk der Ukraine“, beginnt sie. Und bekundet dann: Wir sind mit unseren Herzen bei Ihnen.“ Womit sie erst die Ukrainer meint. Dann aber auch die Frauen im Iran und in Afghanistan. Und schließlich die Erdbebenopfer.
Immer wieder wiederholt, beschwört sie diesen Satz: Mit den Herzen bei ihnen. Kann man, darf man in diesen Zeiten überhaupt ein Filmfestival feiern, fragt sie. Aber nur rhetorisch. Denn gleich kommt ein klares Bekenntnis: Man darf, man muss sogar. Denn „wer in finsteren Zeiten singt, der singt auch vom Licht. Und von der Hoffnung.“ Und auch das wiederholt sie: „Lassen Sie uns Licht ins Dunkel bringen. Und Hoffnung.“
Auch ein Weltstar kann nervös und bewegt sein
Die Regierende Bürgermeister Berlins, Franziska Giffey (SPD), hat es danach ein bisschen schwer, nach diesem flammenden, pathetischen Appell mitzuhalten. Noch dazu, wo Giffey erst vier Tage zuvor eine krachende Wahlniederlage erlitten hat und noch gar nicht weiß, ob sie weiter regieren wird.
Aber das ist alles vergessen an diesem Abend, da wächst sie über sich hinaus. Sie beschwört auch den Slogan der Protestbewegung im Iran: „Frau, Leben, Freiheit“. Aber sie sagt diese Worte auf Farsi. Bekommt dafür Extra-Applaus. Und endet mit dem Appell, die 73. Berlinale möge ein „Schallverstärker“ sein.
Lesen Sie auch: So gut ist der Berlinale-Eröffnungsfilm „She Came To Me“
Aber all die Prominenz im Saal, sie gerät ein wenig ins Hintertreffen. Selbst Kristen Stewart, die jüngste Jury-Präsidentin aller Zeiten, und die Stars des Eröffnungsfilms, die in der prominentesten Reihe sitzen. Denn da kommt ein Hollywood-Star und Oscar-Preisträger auf die Bühne: Sean Penn, der am heutigen Freitag seinen Dokumentarfilm „Superpower“ über die Ukraine vorstellen wird.
Und es ist spannend zu erleben, dass auch so ein Weltstar, der doch gemeinhin mit allen Wassern gewaschen sein müsste, nervös und aufgeregt sein kann. Und tief bewegt. Weil er quasi den Film zur Stunde gedreht hat und ihn hier kurz vor dem Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine zeigt.
Selenskyj appelliert an die Berlinale - als Schaufenster der freien Welt
Und dann wird auch „sein“ Star zugeschaltet: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der von der großen Leinwand in den Saal spricht. Und schon Standing Ovations bekommt, bevor er seine Rede beginnt. Selenskyj outet sich dabei als Filmkenner, na klar, der Mann war ja früher mal Schauspieler. Er schwärmt von Wim Wenders’ Klassiker „Der Himmel über Berlin“. Aber nur, um dann auf die Berliner Mauer zu sprechen zu kommen und wie sie überwunden wurde.
Heute, meint er, wolle Wladimir Putin eine neue Mauer bauen, mitten in Europa, eine Mauer zwischen Freiheit und Sklaverei. Was ihm aber nicht gelingen werde. Selenskyj verweist, ein Kenner der Materie, auch darauf, dass die Berlinale einst gegründet wurde als Schaufenster der freien Welt. Was sie, wie er beschwört, heute mehr denn je beweisen werde.
Die Berlinale hat sich von jeher als ein politisches Festival verstanden. Dieses Jahr aber, das ist schon jetzt abzusehen, wird politischer denn je.