Ausstellung

Wie Ulysses Jenkins die Videokunst revolutionierte

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Die Arbeit „Dream City“ (1983) wird auf großer Leinwand präsentiert.

Die Arbeit „Dream City“ (1983) wird auf großer Leinwand präsentiert.

Foto: Sergej Glanze / FUNKE Foto Services

Die Julia Stoschek Foundation zeigt erstmals in Europa die große Retrospektive „Ulysses Jenkins: Without Your Interpretation“.

Schon vor mehr als 30 Jahren hatte Ulysses Jenkins einen Auftritt in Deutschland, allerdings ohne körperlich anwesend zu sein. Mit den damals hypermodern und heute rührend antiquiert wirkenden Möglichkeiten der Videotelefonie schickte er die Auftritte der „Othervisions Art Band“ im Electronic Café International in Santa Monica (Kalifornien) 1992 live zur documenta IX in Kassel.

Die pixeligen, sich langsam aufbauenden Momentaufnahmen der Performance, die Jenkins durch die Unterseekabel des Atlantiks schickte, handelten von Polizeigewalt gegen Schwarze und Rassismus in den USA – und verbanden alles, womit dieser Künstler so nachhaltigen Einfluss entfalten sollte: Die experimentelle Nutzung, aber auch die kritische Befragung neuer Technologien, das Augenmerk auf Stereotype und Diskriminierung, die Emanzipation von Rollenzuschreibungen und nicht zuletzt die ansteckende Begeisterung am Sozialen, an Musik, Party, am Unberechenbaren.

Mehr als 20 Videoarbeiten und über 60 Werke

Letzteres ist einer der stärksten Eindrücke, mit denen man die Ausstellung „Without Your Interpretation“ in der Julia Stoschek Foundation wieder verlässt: Sie spiegelt eine packende Mischung aus kritischer Aufmerksamkeit und wilder Lebensfreude. Die große, von Meg Onli und Erin Christovale nach jahrelanger Recherche kuratierte Retrospektive, die über zwanzig Videoarbeiten und mehr als 60 Werke umfasst, wurde erstmals 2021 am Institute for Contemporary Art in Philadelphia und im Jahr darauf im Hammer Museum, Los Angeles, gezeigt – wo sie Kunstmäzenin Julia Stoschek und Kuratorin Lisa Long für sich entdeckten. Die Julia Stoschek Foundation, die auch drei Arbeiten von Ulysses Jenkins ankaufte, macht sie von Freitag an in den Ausstellungsräumen an der Leipziger Straße zugänglich.

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Deren Mietvertrag ist übrigens, wie man hört, gerade um fünf Jahre verlängert worden. Und auch an der Fassade der Räume an der Leipziger Straße stehen Änderungen ins Haus: Der überdimensionale Vorhang mit der Inschrift „Julia Stoschek Collection“ ist bereits abmontiert und wird bald durch eine neue Installation ersetzt, auf der „Julia Stoschek Foundation“ zu lesen sein wird – das Haus verstehe sich schon länger nicht mehr nur als reiner Präsentationsort für Sammlungsobjekte, sondern auch als diskursiver Treffpunkt, so Sprecher Robert Schulte.

Eine weiße Deutung wird nicht benötigt

Der Titel der aktuellen Schau ist einem zentralen Werk von Ulysses Jenkins entnommen, das programmatische Züge trägt. Der Künstler hatte sich über die Besprechung seiner Performance „Dream City“ durch einen Kritiker geärgert, die sie umstandslos in den etablierten Kanon der von Weißen geschriebenen Kunstgeschichte eingemeindete und sich vom übergriffigen Anteil der Geste unberührt zeigte. „Without Your Interpretation“ (1984) – eine Performance, in der Evolution und Industrialisierung tänzerisch nachempfunden wurden – wandte sich schon im Titel dagegen: Seine Kunst war an weißer Deutung weder interessiert noch auf sie angewiesen, sie sprach selbstbewusst ihre eigene Sprache.

Die Ausstellung ermöglicht es auch, den von James Brown, Jimmy Hendrix und Prince inspirierten Ulysses Brown als begeisterten Musiker kennenzulernen und zeichnet mit den teils erstmals digitalisierten Arbeiten ein spannendes Stück Emanzipations- und Kulturgeschichte nach.

Julia Stoschek Foundation, Leipziger Str. 60, Mitte. 11. Februar bis 30. Juli 2023. Geöffnet Sbd./So. 12-18 Uhr.