Deutsches Historisches Museum

Ausstellung: Wie der Fortschritt zu Bildern geformt wurde

| Lesedauer: 4 Minuten
Volker Blech
Die Werksfotografie einer Arbeiterin an der Montagestraße des Trabant P60 in Zwickau im Jahr 1962.

Die Werksfotografie einer Arbeiterin an der Montagestraße des Trabant P60 in Zwickau im Jahr 1962.

Foto: August Horch Museum

In der Ausstellung „Fortschritt als Versprechen“ zeigt das Deutsche Historische Museum Industriefotografie im geteilten Deutschland.

Es geht um Auftragsfotografie und um Eigenwerbung der Großindustrie. Aber das Deutsche Historische Museum hat mit seiner neuen Ausstellung „Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland“ mehr im Sinn. Denn hinter jedem Versprechen steht auch der Zwang, es einlösen zu müssen. Jeweils Unternehmen aus Ost und West werden in den vier Bereichen Stahl-, Chemie-, Textil- und Automobilindustrie gegeneinander gestellt. Man erwartet, dass in den Hochglanzfotos Kapitalismus und Sozialismus propagandistisch aufeinanderprallen. Aber das bleibt in den Selbstdarstellungen aus. Als Erkenntnis nimmt man mit, dass die Bildsprache, die die Industrialisierung seit den 1850er-Jahren begleitet hat, eigentlich immer ähnlich blieb. Der glühende Stahlofen sah zu allen Zeiten und auch in Ost und West gleich beeindruckend aus.

Es bleibt die Frage, an welchen Adressaten sich diese überraschend spannende Ausstellung, die rund 680 Exponate auf zwei Etagen im Pei-Bau präsentiert, eigentlich richtet? Der Technik-Freak kann sicherlich Entwicklungen nachgehen und der Autofan sich rührselig an sein erstes Modell – entweder VW Käfer oder Trabant – erinnern. Andere schauen vielleicht auf die altmodischen Damenfrisuren oder den verdreckten Bergmann, der für die Maloche in die Kamera lächelt. Jüngere Besucherinnen, die in der untergegangenen DDR eine Folie für eigene Verheißungen suchen, werden nach dem Menschenbild schauen. Gezeigt wird eine Auszubildende des VEB Chemische Werke Buna. Oder eine junge Frau steht 1964 frisch frisiert und kompetent an der Montagestraße des Trabant. Beim Opel Rekord montiert hingegen 1962 ein älterer Mann. Retrofans sollte man im Ausstellungsteil Autoindustrie beiläufig daran erinnern, dass es sich um Zeiten handelte, als man sein Auto noch selber reparieren konnte. Oder im Osten auch musste.

Die Schau dokumentiert zuerst die Produktionsprozesse in Ost und West

Die von Stefanie Regina Dietzel und Carola Jüllig facettenreich kuratierte Ausstellung dokumentiert zuerst Produktionsprozesse in Ost und West, aber kommentiert teilweise auch, was sich dahinter in der Mitarbeiterschaft abspielte. Es gibt einige Glückstreffer zu entdecken. Das Foto der Brigade „Juri Gagarin“ im VEB Baumwollspinnerei Flöha von 1982 ist einen längeren Blick wert. Die Mitarbeiterinnen sitzen in ihren Kitteln am Pausentisch und machen gerade politische Zeitungsschau. Im Hintergrund mahnt die Wandzeitung: „Gute Vorbereitung ist das A und O für hohe Effektivität.“

Es sitzt nur ein Mann am Tisch. Der aber redet und alle hören ihm zu. Interessant sind auf dem Brigadebild auch die beiden jungen Mosambikanerinnen, deren Körpersprache eine hohe Verkrampftheit ausstrahlt. Es sind von der Gesellschaft abgeschottet lebende Vertragsarbeiterinnen, was in der DDR als „Völkerfreundschaft“ deklariert wurde. Das Wort ist ähnlich unpassend wie der zeitgleich im Westen verwendete Begriff des „Gastarbeiters“. Mit Gästen und Freunden hätte man anders umgehen müssen.

Die gezeigten Aufnahmen von festangestellten oder freien Fotografen stammen aus Werkszeitschriften, Werbebroschüren, Produktkatalogen oder Festschriften. Die Ausstellung zeichnet natürlich nach, wie die Bundesrepublik ab den 1950er-Jahren einen beispiellosen ökonomischen Aufstieg vollzog, wohingegen die Wirtschaft der DDR unaufhaltsam auf ihren Bankrott zusteuerte. Die Schau endet 1990. Eine Nach- oder Übernahmegeschichte der gezeigten Unternehmen wird nicht behandelt. Wie weit sich die technologische Schere im geteilten Deutschland auseinander bewegte, ist am deutlichsten beim Autobau erkennbar. Während sich im Westen die Modelle und die Fertigung weiter perfektionierten, bekam man im Osten immerhin – nach langer Wartezeit – ein Auto.

Deutsches Historisches Museum/Pei-Bau, Unter den Linden 2, Mitte. Tel: 203040. Täglich 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Bis 29. Mai