Kunstgeschichte

Wie genial Adolph Menzel mit dem Licht spielen konnte

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Adolph Menzel (1815-1905).

Adolph Menzel (1815-1905).

Foto: Felix Müller / picture alliance / opale.photo

Menzels „Balkonzimmer“ von 1845 zeigt ihn als Propheten der modernen Malerei. Warum merkte es damals niemand?

Ist es dieses besondere Licht durch die geöffnete Balkontür? Das Spiel der Farbtöne? Vielleicht das eigenwillige Interieur des Zimmers oder doch der unruhig flatternde, beinahe durchsichtige Vorhang? Die Magie des Augenblicks – vielleicht liegt sie ja in der Kombination dieser Elemente, die der Maler Adolph Menzel (1815-1905) virtuos verknüpft.

Sein Gemälde „Das Balkonzimmer“ von 1845 gewährt einen subtilen, sehr persönlichen Einblick in die beinahe poetische Stimmung des Künstlers an diesem heiteren, verträumten Sommernachmittag. Den Blick kontemplativ nach innen gekehrt, mit einer Prise Leichtigkeit. Wie jene des leisen Windhauchs, der mit der filigranen Tüllgardine spielt, sie hineinweht in das lichtdurchflutete, nur spärlich möblierte Zimmer. Es ist das Wohnzimmer der Familie Menzel in der gerade erst bezogenen Wohnung in der Schöneberger Straße am damals äußersten Südrand Berlins.

Wenige, mitunter nur angedeuteten Elemente – zwei voneinander abgewandte Stühle, das Teppichstück, ein schemenhaftes Sofa, das erst im Spiegelbild Konturen gewinnt. Die eigenwillige Komposition lässt nach Ansicht des Kunsthistorikers Claude Keisch keine „Plastizität“ zu. Wer das Bild betrachtet, das aktuell in der Alten Nationalgalerie besichtigt werden kann, ist gleich mittendrin: verzaubert, verblüfft. Was bedeutet der helle Fleck an der Wand? Selbst für Experten ein Rätsel. Schon der damalige Direktor Hugo von Tschudi, der das Kunstwerk 1903 von der Berliner Kunsthandlung R. Wagner erwarb, bezeichnete es als „unscheinbares Wunder“, das nicht durch „plumpe Worte“ erfasst werden könne.

„Hier körperhaft, dort dahinwischend“

Dieses Hauptwerk der frühen Schaffensphase Menzels gilt als eines jener Bilder, die einige charakteristische Merkmale des Impressionismus um Jahrzehnte vorwegzunehmen scheinen. Der Künstler experimentiert mit Lichteffekten, Farbnuancen, Raum, Perspektive. „Entgegen der traditionellen perspektivischen Konstruktion suggeriert das Bild zwei unterschiedliche Blickhöhen. Der Fußboden scheint unter den Füßen des Betrachters wegzugleiten, und es fehlen seitliche Begrenzungen, die helfen könnten, die vordere Bildebene zu orten“, schreibt Claude Keisch und verweist auf weitere optische Effekte. „Hier bestimmt und körperhaft, da flüchtig hinwischend“ und meint die selektive Wahrnehmung von Schärfe und Unschärfe der Gegenstände je nach Distanz. Dass Menzel diesen Sehvorgang in seinem Bild provoziert, stelle auch den Stillstand der Zeit – eine Fiktion, die zu den Grundspielregeln der Malerei seit der Renaissance gehörte – in Frage, so Keisch.

Menzel selbst betrachtete seine Frühwerke als private Studien, um seine offiziellen Gemälde vorzubereiten. Beim „Balkonzimmer“ habe er nach Meinung von Kunsthistorikern die Verwendung des Lichts geübt und später seine Kenntnisse über Lichtreflexion etwa bei seinem Gemälde „Das Flötenkonzert Friedrich des Großen in Sanssouci“ (1850) eingesetzt. Denn Bekanntheit und Anerkennung hatte Menzel als Historienmaler mit seinen Bilderzyklen aus dem Leben Friedrich des Großen erlangt. Und Wohlwollen, Respekt, gar Verehrung von Kaiser Wilhelm II dazu, der den Künstler zu Lebzeiten mit dem „Schwarzen Adlerorden“ und dem Titel „Exzellenz“ ehrte.#

Ein Maler, der seiner Zeit voraus war

„Es ist merkwürdig, dass keine der Größen der Berliner Akademie und auch kein Berliner Kunstkritiker gemerkt hatte, dass in Menzel ein Prophet der neuen Malerei erstanden war; und beinahe unverständlich mutet Menzels eigenes Verhalten an: er hatte etwas Neues entdeckt und sprach nicht darüber. Im genügten seine Bilder!“, schreibt Walther Kiaulehn in seinem Buch „Berlin – Schicksal einer Weltstadt“.

Und meint damit Bilder wie „Das Balkonzimmer“. Das uns heute emotional berührt und teilhaben lässt an der Gedankenwelt, den persönlichen Empfindungen eines außergewöhnlichen Berliner Künstlers, der mit seinem Werk geradezu philosophischen Tiefgang erreichte und mit seinen Ausdrucksmitteln seiner Zeit voraus war.

( Sofia Mareschow )