Sie kann aus allen Richtungen zuschlagen oder sich langsam zusammenbrauen, sie kann wie ein plötzlich angeknipster Scheinwerfer alles andere ausblenden. Manchmal hat sie sich über Jahrzehnte hinweg verkapselt und kehrt mit der Erinnerung zurück: an die Situation im Amt, als man dieser selbstherrlichen Sachbearbeiterin gegenübersaß, an den Familienstreit am Esstisch, an den Arbeitskollegen mit seinen übergriffigen Kommentaren. Dann ist sie wieder da, die Wut, stark und mächtig und eigentlich eine Einladung, etwas mit ihr anzufangen, sie produktiv zu nutzen, an ihr zu wachsen. Aber niemand will sie empfinden. Wut ist ein diskriminiertes Gefühl.
Deshalb wird sie geleugnet und vertuscht. Am Anfang dieses so sehenswerten wie unterhaltsamen Abends erklärt sich das sechsköpfige Ensemble für vollständig wutresistent: „Meine Schwiegermutter zum Beispiel“, sagt Mina Özlem Sağdıç, „macht mich überhaupt nicht wütend! Sie hatte auch eine schwere Kindheit. Und meine Mutter macht jetzt eine Therapie und jetzt geht es nur noch um sie. Auch toll!“ Oder Inka Löwendorf: „Es macht mich überhaupt nicht wütend, wenn ich so einen Eintrag von der Lehrerin meines Sohnes lese: Er hat sich schon wieder gestritten. ,Schade!‘, steht da dann. Das macht mich so gar nicht wütend.“
Ein mansplainender Phrasendrescher taucht auf
Als Göttinnen kommen die fünf Schauspielerinnen nach und nach die Showtreppe hinunter, Artemis, Kali, Frau Holle und andere. Jede mit ihrer eigenen Geschichte und ihrer eigenen Wut. Aber weibliche Wut, das konnte man schon in Stefanie Reinspergers kürzlich erschienenem Buch „Ganz schön wütend!“ nachlesen, wird gesellschaftlich am schärfsten sanktioniert, die darf es gar nicht geben. Kein Wunder also, dass mit dem Seminarleiter Ingolf (Ingolf Müller-Beck) bald eine Therapeutenkarikatur auf der Bildfläche erscheint, die außer Phrasen nichts zu bieten hat: Man müsse „den Drachen reiten“, es gebe da eine „so tolle Energie“ – und so weiter und so fort.
Ziemlich clever versammelt Regisseurin Réka Kincses die Diskurse rund ums Thema und ironisiert sie, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Manchmal tritt das Team aus der Rolle heraus und kommentiert, was soeben gespielt wurde: Darf die Göttin Kali als Nichthinduistin überhaupt in diesem Kostüm auftreten, aufgeblasene Einweghandschuhe als Kopfschmuck inklusive? Ist es glaubwürdig, wenn Artemis Chalkidou mit ihrem griechischen Migrationshintergrund im Göttinnenquintett eine Figur aus den nordischen Sagen verkörpert?
Die frauenfeindliche Mär vom wandernden Uterus
Identitätspolitische Fragen werden immer direkt am Wutrand gestellt, weil sie von möglichen Verletzungen handeln. Deshalb gehören sie ebenso hierhin wie die uralte und frauenfeindliche Theorie, weibliche Wut habe etwas mit einer im Körper umherschweifenden Gebärmutter und mangelnder sexueller Erfüllung zu tun, weshalb man sie als Hysterie pathologisieren müsse. Dabei, das lässt sich in den Büchern des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul nachlesen, ist Wut ja ein vollkommen normales Gefühl, an dem nur scheitert, wer sie in Gewalt übersetzt. Eine sehr plausible Einsicht, aus der am Heimathafen eine nicht nur lustige, sondern auch lustvolle und kluge, musikalisch ansprechende Revue entstanden ist.
Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Straße 141. Termine: 10.2. und 18.2. (20 Uhr), 19.2. (18 Uhr), heimathafen-neukölln.de