Während wir dieses Jahr wieder den Kopf schütteln über künstliche Schneebänder in den Alpen, rüstete sich Berlin bereits 1927 für schneearme Winter: Zwei Skifahrer und drei Skifahrerinnen präsentierten im April 1927 ihr Können im weltweit ersten Indoor-Schneepalast. Der war eigentlich eine Autohalle am Kaiserdamm, die von Emil Pirchan, der normalerweise Berlins Theaterbühnen ausstattete, in einen Wintertraum mit zwei Schanzen, einer Rodelbahn und 3000 qm Freifläche umgestaltet worden war. Das Besondere: Die weiße Pracht war Kunstschnee, weder kalt noch schmelzbar, sondern ein chemisches Gemisch aus Waschsoda und Holzspänen, erfunden von einem britischen Chemiker. Auf jeden Fall sieht der Schnee auf dem Foto sehr weiß und fein aus, wenn es auch hieß: nicht hinfallen, es könnte jucken!
Wie an den Ausfallschritten zu erkennen ist, war in Berlin damals das Telemarken modern, eine Technik, die nach der norwegischen Landschaft Telemark benannt ist und die seit ein paar Jahren bei Liebhabern wieder ein Revival erfährt. Die Schuhe sind wie beim Langlauf nur an den Spitzen fixiert, für den Richtungswechsel macht man einen Ausfallschritt und löst dabei eine Ferse vom Ski. Der heute übliche Parallelschwung war zwar damals schon bekannt, setzte sich aber erst später als vorherrschende Technik durch.
Aus dem Büro direkt auf die Piste
Die Herren scheinen nicht vom Berg, sondern direkt aus dem Büro zu kommen, weißes Hemd, Krawatte, Ärmelhalter, aufgekrempelte und eingestülpte Hosen. Die Damen ein wenig sportlicher mit weiten Hosen, Rock und Blusen. Die Frisuren, Pferdeschwanz und Bubikopf, könnten von heute sein, in den Zwanzigerjahren waren sie der letzte Schrei, genauso wie die „Neue Frau“, die sich zumindest beim Sport den Männern ebenbürtig sah.
Wer die jungen Menschen auf der Piste sind, wissen wir nicht, vielleicht Mitglieder des Skiclubs Pallas, der bereits 1922 gegründet wurde, wohl aber wer hinter dem Foto steht: der heute berühmte Pressefotograf Willy Römer, der damals mit seinem Partner Walter Bernstein eine wichtige Berliner Fotoagentur leitete. Seine Fotos haben unseren Blick auf Berlin für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt. Denn er interessierte sich auch für Alltagsszenen und im Gegensatz zu anderen Fotosammlungen ist sein Archiv heute noch erhalten. Was keine Selbstverständlichkeit ist. Römers Fotoagentur wurde unter den Nazis als „Judenfirma“ (da sein Partner Jude war) boykottiert und ging in Konkurs. Römer hat sich davon beruflich und finanziell nie mehr erholt. Nach seinem Tod 1979 boten die Erben das Archiv aus 50.000 Fotos und 7000 Porträts den Institutionen an, gerettet hat es aber ein Privater, der Fotohistoriker Diethart Kerbs, der es 2009 den Staatlichen Museen verkaufte. Heute gehört es zur Fotosammlung der Kunstbibliothek und kann online eingesehen werden oder ausschnittweise im Museum für Fotografie.
Der Bürgermeister: Freizeit als soziales Problem
Der Schneepalast allerdings lud nur wenige Monate interessierte Berlinerinnen zum Skifahren ein. Denn er war Teil der Freizeitmesse „Das Wochenende“, die im Juni 1927 ihre Tore schloss. Die Stadt hatte 1927 fast 4.2 Millionen Einwohner. Freizeit sei nicht nur Erholung und Vergnügen, sagte der Zweite Bürgermeister Scholtz bei der Eröffnungsrede, sondern auch ein soziales Problem. Deshalb wollte man den Berlinern und Berlinerinnen zeigen, was man so alles unternehmen kann, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen.
Kunstschnee war dann zwischen 1964 und 1972 noch einmal ein Thema am Teufelsberg. Dort gab es einen Skilift und eine Piste, die mit Schneekanonen beschneit wurde. Aber auch dieses Vergnügen dauert nur kurz, weil die Alliierten ihr Veto einlegten. Die Skifahrer waren den dort stationierten Abhördiensten in die Quere gekommen. In den Nullerjahren scheiterten schließlich zwei Mega-Projekte für Skihallen an der Finanzierung. Seitdem wartet Berlin wieder jeden Winter geduldig auf natürlichen Schnee.