Theater

„Radioland“ in Neukölln: Mit Kanonen auf Möwen schießen

| Lesedauer: 5 Minuten
Peter Zander
Komm, wir gründen uns ein eigenes Fürstentum: Mama Bates (Meik van Savern) und ihre Familie.

Komm, wir gründen uns ein eigenes Fürstentum: Mama Bates (Meik van Savern) und ihre Familie.

Foto: © Thomas Koy

Ein schriller Abend und gewagter Mix, der aber auch vom Zuschauer viel fordert: das Musiktheater „Radioland“ in der Neuköllner Oper.

Landunter in der Neuköllner Oper. Wo sonst die Bühne steht, ragt eine Plattform schräg in die Zuschauerreihen. Auf der Leinwand dahinter gibt’s dazu bewegte Bilder einer bewegten See. Da kann man seekrank werden. Willkommen auf Sealand. Eine Flakplattform vor der britischen Küste, im Krieg errichtet zur Abwehr deutscher Aggressoren.

Nun besetzt von Familie Bates, die hier einen Piratensender betreibt. Weil die BBC sich weigert, die Rock- und Popsongs der Jugendkultur zu senden, senden sie eben die Bates’. Außerhalb des Rechtsraums. Das bringt ihnen die Liebe der Fans ein. Und satte Einnahmen. Denn auch Werbekunden setzen auf Programme, die gern gehört werden. Legal, illegal – schnurzegal.

„Radioland“: Keine Insel der Glückseligkeit

Was für Papa Bates (Stefanie Dietrich) und Mama Bates (Meik van Savern) das Paradies ist – trautes Heim, Glück allein auf hoher See, überall Freiheit, nirgends Einengung – , ist für Sohn Michael (Armin Wahedi Yeganeh) und vor allem Tochter Penny (Mathilda Switala) ein Graus.

Weil sie wie alle jungen Menschen nicht nur Rock und Pop hören, sondern auch mal in die Disco oder einfach mit anderen abhängen wollen. Hier aber gibt es nur die Familie. Und die wechselnden DJs, die hier Schallplattenunterhalter genannt und mit Booten angekarrt werden. Keine Insel der Glückseligkeit.

Mehr zum Thema: Autor und Regisseur Fabian Gerhardt über sein Lehrstück „Radioland“

Das Stück „Radioland“ von Fabian Gerhardt und Lars Werner mit der Musik von Christopher Verwoner und Misha Cvijovic, das am Donnerstag in der Neuköllner Oper uraufgeführt wurde, behandelt, wie der schön komplizierte Untertitel bereits unterstreicht, „die meistens wahre, aber immer unglaubliche Geschichte des Fürstentums Sealand“. Wer hier aber ein Musical erwartet, gar eins in Jukebox-Manier, in der dann bekannte Rock- und Pop-Songs mit neuen Texten gesungen werden (wie das Abba-Musical „Mamma Mia!“), der sei gewarnt.

Das Ende des Piratensenders ist der Beginn eines neuen Fürstentums

„Radioland“ ist mehr und will mehr: ein modernes Musiktheater. Das sucht zwar durchaus Anklänge an Rock. Und gibt, wenn die Leinwand hochfährt und die Innerei der Plattform preisgibt, gleich acht Musiker auf, die alle hübsch im gleichen schwarz gekleideten Outlook und gleichem Pilzkopf loslegen. Aber trotz E-Gitarre und schwerem Schlagzeug sind es doch eher neu tönende, komplexe, opernhafte Kompositionen, die da gespielt und gesungen werden. Und bei denen vor allem Papa Bates immer wieder schrillste Töne von sich gibt.

Das ist ein feiner Gag, dass der Papa hier von einer Frau gespielt wird und die Mama von einem Mann. Und es gibt noch viele weitere hübsche Ideen. Wenn etwa nicht mit Kanonen auf Spatzen, aber doch mit Flakgeschoss auf Möwen geschossen wird. Oder wenn die Familie mal Fisch-, Delphin- und Walrossplastikköpfen ein Meergetierballett tänzelt. Und ein DJ im Rettungsring um die Plattform rollt. Vor der Pause jedoch findet das muntere Treiben ein jähes Ende. Weil vom Festland die schlimme Botschaft kommt, dass die BBC nun doch Rock & Pop sendet. Und der Piratensender damit am Ende ist.

Lesen Sie auch: Stefan Kurt und Helmut Baumann über „La Cage aux Folles“ an der Komischen Oper

Aber da man sich außerhalb der Justiz befindet, kommt Papa Bates auf eine neue Idee: Er gründet einfach ein eigenes Fürstentum. Als willkommene Adresse für Briefkastenfirmen aus aller Welt, die hier leidlich Steuern hinterziehen können. Klappt ja auch in Liechtenstein. Nach der Pause wird die Staatsgründung mit der Nationalhymne „E mare libertas“, Freiheit auf dem Meer, zelebriert.

Eine beißende Lektion in Sachen Haifischkapitalismus

Doch dann kommt obskurer Besuch in Form des lederbehosten Herman Z German (Owen Read), der hier groß investieren will. Und die Bates zur Vertragsunterzeichnung aufs Festland bittet. Um Sealand in deren Abwesenheit aber ganz an sein Konsortium zu reißen. Da herrscht dann noch mal auf ganz andere Weise Land unter in Sealand.

„Radioland“ ist ein schriller Abend, ein gewagter Mix. Und eine beißende Lektion in Sachen Haifischkapitalismus, bei der auch formal mit Kanonen auf Möwen geschossen wird. Das verlangt aber nicht nur von seinen singenden Darstellern – die sich mal bravourös bewähren (Vater), mal eher durchschummeln (Sohn) – viel ab. Auch der Zuschauer ist hier stark gefordert.