Es ist eigentlich ein typischer Frauenkonflikt – aber erzählt am Beispiel eines Mannes. Der New Yorker Anwalt Peter Miller (Hugh Jackman) will alles richtig machen. Und alles unter einen Hut kriegen. Job und Familie. Wirklich scheint alles zum Besten zu laufen. In seiner luxuriösen Hochhauskanzlei schwebt er über den Dingen. Mit seiner zweiten Frau Beth (Vanessa Kirby) ist er gerade im seligen Baby-Glück. Und dann scheint sich auch sein Traum zu erfüllen, in die Politik einzusteigen.
Doch dann steht da eines Morgens seine Ex-Frau Kate (Laura Dern) vor der Tür. Völlig verzweifelt, weiß sie nicht mehr weiter mit dem gemeinsamen Sohn Nick (Zen McGrath), der bei ihr wohnt. Der 17-Jährige geht seit einem Monat nicht mehr zur Schule, sie kommt nicht mehr an ihn heran.
Depression - ein Wort, das kaum ausgesprochen wird und doch stets präsent ist
Vor allem aber hat sie Angst vor ihm. Natürlich will Peter sich auch darum kümmern. Und nimmt Nick bei sich auf, ohne das vorher mit Beth abzusprechen. Denn er will der perfekte Vater sein. Da nagt auch ein schlechtes Gewissen, dass er seine Familie verlassen hat. Vor allem aber will er nicht so werden wie sein gefühlskalter Vater (Anthony Hopkins).
Doch es sind nicht nur typisch pubertäre Gefühlsschwankungen, die den Jungen plagen. Er leidet allgemein am Leben. Und ritzt sich heimlich in den Arm. Das Wort Depression, es fällt fast nie in dem Film. Und schwebt doch wie ein Damoklesschwert über der Familie, die dieser Last nicht gewachsen ist.
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Beth ist nicht begeistert von dem Familienzuwachs. Als das Baby krank ist, bleibt sie lieber zu Hause, als dass sie es Nick hüten lässt. Nick wiederum wütet gegen die neue Frau seiner Vaters. Und der müsste sich gerade voll in seine neue Aufgabe werfen. Da passt ein dysfunktionaler Sohn nicht in den Karriereplan und in die Bilderbuchfamilie. Aber auch ein Psychiater kann nicht helfen.
Es ist doch kein typischer Frauenkonflikt. Weil Peter den Problemen mit typisch männlichen Ausflüchten begegnet: dass der Sohn sich zusammenreißen soll. Und er ihm Stärke predigt. „The Son“ erzählt von der Macht- und Hilflosigkeit eines Vaters, der nur das Beste will und damit doch eine Katastrophe auslöst. Ganz am Ende spricht der Psychiater einen dringlichen Satz aus: „Liebe allein reicht nicht immer.“
Nach „The Father“ nun „The Son“ – „The Mother“ wird nicht lang auf sich warten lassen
Zum zweiten Mal hat der französische Dramatiker Florian Zeller ein eigenes Theaterstück fürs Kino inszeniert. Nach „The Father“, für den er mit seinem Drehbuch-Koautor Christopher Hampton einen Oscar gewann, hat er nun auch „The Son“ als großes Star-Kino inszeniert. Wie ein Faustpfand spielt wieder Anthony Hopkins mit, diesmal indes nur in einer kurzen Rolle.
„The Father“ war ein Drama über Alzheimer – auch das eine Krankheit, die nie genannt, aber in verstörenden Bildern gezeigt wurde: weil die Wohnungseinrichtung wechselte, die Tochter plötzlich von einer anderen Schauspielerin gespielt wurde und man oft nicht wusste, ob das noch real ist oder eine Wahnvorstellung. Die Demenz als immersive Erfahrung für den Zuschauer, der selbst an seinen Wahrnehmungen zu zweifeln begann.
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„The Son“ spielt dagegen mit Rückblenden, in denen Nick noch ein kleiner Junge war und die Millers (mit Peters erster Frau) noch eine glückliche Familie. Auch da fragt sich der Zuschauer zunehmend, ob das eine reale Erinnerung ist oder eine nachträgliche Projektion.
Erneut arbeiten Zeller und sein Ko-Autor Christopher Hampton auch mit verstörenden Sprüngen und Ellipsen. Nur hier durch die bewusste Auslassung von Krisenmomenten. Dass Beth unter Nicks Matratze ein Messer findet, dass sie ihn tags in einem Park sieht, wo er doch in der Schule sein müsste und schließlich ein Suizidversuch des Jungen - all das wird nicht gezeigt, sondern erst nachträglich erzählt. Weil der Vater in den entscheidenden Moment nicht da ist.
Die wichtigen Wendepunkte werden dem Zuschauer vorenthalten
Und diese Vater-Sohn-Geschichte ausschließlich aus seiner Perspektive gezeigt wird. Der Sohn, wiewohl von Zen McGrath eindrucksvoll gespielt, kommt einem da nicht nahe, er bleibt dem Zuschauer fremd wie seinem Vater. Aber auch dass das Ehepaar sich wegen des Jungen aus erster Ehe streitet, wird dem Zuschauer vorenthalten. Damit beraubt sich Zeller aber den dramaturgisch wichtigen Wendepunkten seiner Geschichte.
Ein Vergleich von Zellers Filmen drängt sich auf. Und nach dem starken Kinodebüt mit „The Father“ fällt „The Son“ ab. Der Film ist konventioneller, vorhersehbarer. Und am Ende überträgt sich nur die Ohnmacht des Vaters auf den Zuschauer. Aber als einziger Affekt trägt das kaum über zwei Filmstunden.