Philharmonie

Esa-Pekka Salonens neue Sinfonia leidet unter Überdruck

| Lesedauer: 3 Minuten
Felix Stephan
Esa-Pekka Salonen ist als Komponist und Dirigent bei den Philharmonikern.

Esa-Pekka Salonen ist als Komponist und Dirigent bei den Philharmonikern.

Foto: Stephan Rabold

Die finnische Dirigent Esa-Pekka Salonen führt bei den Berliner Philharmonikern eine Auftragskomposition auf.

Ein durchwachsener Abend diesmal bei den Berliner Philharmonikern. Mal elegant und tänzerisch, mal zäh, dann etwas verträumt – und am Schluss ein Publikumsreißer, der alle wachrüttelt. Durch messerscharfe Präzision und unerbittliche Intensität.

Doch der Reihe nach: Der Finne Esa-Pekka Salonen ist zu Gast, nach vielen, vielen Jahren wieder. Und das jetzt in einer Doppelrolle – als Dirigent und aktueller „Composer in Residence“ der Philharmoniker. Salonen selbst sieht sich übrigens in erster Linie als Komponist, der auch dirigiert. Die öffentliche Wahrnehmung freilich war bislang das Gegenteil: Salonen, ein akribischer Orchestererzieher mit langem Atem. Ein Orchestererzieher, der seine vielfältigen Kontakte nutzt, um auch eigene Werke zur Aufführung zu bringen. Von 1992 bis 2009 hat Salonen das Los Angeles Philharmonic Orchestra geleitet, von 2008 bis 2021 war er Chef des Philharmonia Orchestra London.

Im Auftrag der Berliner Philharmoniker hat Salonen nun eine „Sinfonia concertante“ für Orgel und Orchester geschrieben. Ein seltsames Werk, das einerseits schier überquillt vor Ideen und fast schon zur Geschwätzigkeit tendiert. Doch andererseits ist da auch jene rigorose Strenge, die alles irgendwie in Form halten möchte. Und dabei beträchtliche Knirsch- und Bremsspuren in den Publikumsohren hinterlässt. Der erste Satz mit seinen vielen Verzierungen, Tonleiterbewegungen und Klangflächen scheint durchaus von der französischen Moderne beeinflusst zu sein. Olivier Messiaen klingt an, aber auch Einflüsse von Ravel sind spürbar. Das Anfangs-Tohuwabohu des Finales wiederum, der teuflische Sarkasmus und die grellen Totentanz-Einlagen erinnern an Bartók und Schostakowitsch.

Die Philharmoniker müssen sich in der Pause ein wenig erholen

Bemerkenswert, wie Organist Oliver Latry auch die irrwitzigsten Tempi und virtuosesten Läufe meistert, ohne je ins Schwitzen zu geraten. Und trotzdem: Der Überdruck dieser Musik schlaucht auf Dauer. Selbst die Philharmoniker brauchen nach der Konzertpause noch ein paar Minuten Regeneration – was einen etwas nachlässigen „Le Tombeau de Couperin“ von Ravel zur Folge hat. Geistreich und transparent dagegen wirkt Ravels Ballettmusik „Ma Mère l’Oye“ zu Beginn.

Doch der Höhepunkt des Abends liegt eindeutig am Schluss: Bartóks „Der wunderbare Mandarin“, ebenfalls eine Ballettsuite. Und jetzt mit den Philharmonikern in Höchstform. Es ist eine nervenzerfetzende Großstadtlärm-Musik, eine filmreife Mischung aus Thriller und Horrorschocker, bei der es um Raub, Prostitution und Mord geht. Das Hässliche und Widerliche der zivilisierten Welt wollte Bartók seinen Zuhörern laut eigenen Angaben in den 1920ern um die Ohren hauen. Rund hundert Jahre später muss man konstatieren: Ja, diese Musik ist immer noch hässlich und böse, aber sie macht zugleich riesigen Spaß. Und anders als bei Salonens Orgelkonzert vergeht die Zeit hier wie im Fluge. Heftiger Jubel danach für die Philharmoniker, tosender Applaus für den Gastdirigenten.