Volksbühne

Constanza Macras: Das war bereits bei Shakespeare so

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Volker Blech
Die Berliner Choreographin Constanza Macras.

Die Berliner Choreographin Constanza Macras.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Die Berliner Choreographin Constanza Macras will im Stück „Drama“ neue Familienbilder an der Volksbühne vorführen.

Den Stücken der Berliner Choreographin Constanza Macras haftet immer etwas Außergewöhnliches an. Der Zuschauer staunt, schaut zweimal hin, lacht oder schüttelt den Kopf. In der ausgetanzten Gesellschaftskritik steckt immer viel Lebensbejahendes drin. An der Volksbühne wird am Donnerstag ihre neue Produktion „Drama“ uraufgeführt. „Wir wollen den Mechanismus von Popkulturen zeigen“, sagt die Choreographin am Rande der Proben. „Dieser Mechanismus ist vom klassischen Theater geliehen und in eine Belanglosigkeit überführt.“

„Drama“ soll also ein Stück frei nach Shakespeare sein. Aber ohne große Worte. „Immer geht es um Familien und die großen Dramen. Das war bereits bei Shakespeare so“, sagt Constanza Macras. „Väter, Mütter, Söhne, Töchter – jeder liebt jeden, betrügt und tötet ihn. Von den Familienbildern sind die Religionen, die Philosophie und auch die Kultur geprägt worden. In der Popularkultur wird das alles im Zeitraffer abgehandelt.“

Das Besondere an Macras Choreographien ist wohl immer, dass sie eine lateinamerikanische Sicht auf globale Kulturentwicklungen wirft. Ein bisschen Hollywood-Bashing ist auch meist dabei, wenn Ideologien im Spiel sind. Darauf reagiert sie allergisch. Constanza Macras ist 1970 in Buenos Aires geboren worden. Sie absolvierte eine Tanzausbildung und Modedesignstudium in Argentinien und am Merce Cunningham Studio in New York. 1995 kam sie als freie Tänzerin nach Berlin. Zwei Jahre später gründete sie ihre erste Tanzkompanie „tamagotchi Y2K“, 2003 dann „DorkyPark“.

Weil Constanza Macras von italienischen und griechischen Einwanderern abstammt, spreche ich sie auf einen argentinischen Witz an. Demnach fragt ein Argentinier den anderen, woher seine Vorfahren kamen? Vom Schiff, lautet die Antwort. Die Choreographin verdreht die Augen, weil sie den Witz für vergiftet hält. Vor zwei Jahren hatte der Präsident seine Nachbarn beleidigt mit der Äußerung, Mexikaner würden von Indios abstammen und Brasilianer aus dem Dschungel kommen. „Aber wir Argentinier sind mit Schiffen aus Europa gekommen“, brüstete sich Präsident Alberto Fernandez. Ein Shitstorm folgte. Da Constanze Macras eine der wenigen politischen Choreographinnen ist, würde es nicht verwundern, wenn die Geschichte irgendwann in einer Tanzproduktion auftaucht.

„Man sucht nach dem Kolonialismus wie in einem Supermarkt“

Ihr 12-köpfiges Ensemble bei „Drama“ stammt aus acht Nationen. Macras ist schon immer geschärft für Themen, die im Moment gerade angesagt ist. Political Correctness werde in Europa anders verhandelt als in Südamerika, sagt sie. „Man hat hier keine wirkliche Idee davon und nimmt es eher wie ein Schutzschild. Man sucht nach dem Kolonialismus wie in einem Supermarkt. Es ist gut gemeint, aber ohne tiefes Interesse. Man könnte viele Leute in Afrika oder Südamerika etwa am Amazonas befragen und neue Geschichten erzählen. Das findet aber oft nicht statt.“

In „Drama“ wird die Theatergattung „La Revista Argentina“ einer Betrachtung unterzogen. „Mich interessiert schon seit einiger Zeit die argentinische Revue der 1960er- und beginnenden 1970-Jahre, die immer ein bisschen politisch und ein bisschen sexy war. Es war eine glamouröse, bessere Zeit in Argentinien.“ Diese Revue, die ursprünglich in den 1920er-Jahren entstand, war eine Mischung aus Kabarett und Revue mit französischem Glamour, spanischsprachiger Musik und dem Humor italienischer Einwanderer. Dazu kamen Federn für den Glamour.

Die Revue-Tradition sei leider verloren gegangen, sagt Constanza Macras. „Heute gibt es mehr billige Witze und die Shows sind weniger schön. Die junge Generation schaut sich andere Sachen an. Im Internet sind noch Elemente davon vorhanden. Aber es geht mehr um Voyeurismus und Oberfläche als um Inhalte.“

In einem Haus treffen Kriminelle und schlechte Schauspieler aufeinander

Ihr Stück sei eklektisch in den Anspielungen, sagt die Choreographin. „Es gibt eine Szene, die auf den Buster-Keaton-Stummfilm ,The Haunted House’ von 1921 anspielt.“ In dem verwunschenen Haus treffen Kriminelle und schlechte Schauspieler aus einem mittelmäßigen „Faust“ zufällig aufeinander. „Buster Keaton war ein Supertänzer, es gibt viele Bilder von seinem Revuestil. Beziehungskonflikte werden auch bei uns ohne viele Worte vorgeführt.“

Darüber hinaus geht es um Telenovelas. Darin gäbe es Cliffhanger, so Constanza Macras, „damit die Leute neugierig bleiben und unbedingt den nächsten Teil der Serie sehen wollen. Wir benutzen im Stück auch viele Referenzen zur Popmusik. Hier braucht man nur einen richtigen Satz, der funktioniert und an den sich die Menschen erinnern. Es werden keine großen Geschichten erzählt. Es geht immer um den Augenblick, und einen Monat später ist bereits alles vergessen.“

Als Schülerin habe sie zwar manchmal Soapoperas angeschaut, sagt Constanza Macras, aber es habe sie nicht wirklich interessiert. „Ich war und bin immer noch eine leidenschaftliche Kinogängern. Heute habe ich zu Hause keinen Fernseher mehr, ich schaue mir Filme und Serien im Internet an.“

Die zeitgenössischen Tänzer werden mit Bauarbeitern gleichgesetzt

Die Choreographin will auch eine Lanze für ihre Tänzer und Tänzerinnen brechen. „Tänzer werden von Theatern gern benutzt, weil sie alles schöner und dynamischer machen. Die Bilder sind prächtiger“, sagt sie. „Auf der anderen Seite müssen die Künstler immer spartanischer arbeiten. Die zeitgenössischen Tänzer werden mit Bauarbeitern gleichgesetzt. Sie arbeiten hart und verdienen immer weniger. Tänzer haben in der Gesellschaft immer noch keine laute Stimme. Das Publikum findet Tänzer zwar immer toll, zugleich aber scheint es, als wäre der Tanz das Proletariat der Darstellenden Künste.“

In dem Zusammenhang muss die Choreographin gleich auf ein Klischee hinweisen. „Eine soziale Aufstiegsidee findet sich regelmäßig in den Tanzfilmen wieder. Dann triff ein PoC-Mann, der Breakdance macht, auf eine blonde Ballerina. Straße triff Spitzenballett.“ Brücken sollen in der Gesellschaft geschlagen werden. „Es wird über soziale Probleme geredet, und am Ende wird alles gut. Das sind doch total blöde Klischees. Es wird mit sozialen Dingen, mit Migrationshintergründen gespielt.“

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte. Tel. 24065777 Termine: 19., 21., 29.1.; 3., 27.2.