Das Konzerthaus ist derzeit wegen einer energetischen Sanierung eingerüstet, weshalb auf dem Foto, das in Sebastian Nordmanns Intendanten-Büro entsteht, lieber der Deutsche Dom als Hintergrundmotiv dient. Es ist einiges im Umbruch am Gendarmenmarkt, gerade auch, wenn im Sommer die neue Chefdirigentin Joana Mallwitz das Konzerthausorchester übernimmt. Der Intendant spricht über Veränderungen in der Programmgestaltung.
Herr Nordmann, mit dem Amtsantritt der neuen Chefdirigentin Joana Mallwitz steht Ihr Haus im Sommer vor einem Neuanfang. Was wird sich verändern?
Sebastian Nordmann Eigentlich würde ich nicht den Begriff Neuanfang benutzen. Das hat einen einfachen Grund. Als ich 2009 ans Haus gekommen bin, stand die grundlegende Aufgabe an, aus dem Abonnementhaus ein Formathaus zu machen. Wir haben sehr früh neue Formate, Vermittlungsformate wie „Mittendrin“ mit Ivan Fischer oder „2x hören“, andere Uhrzeiten, wie die Espresso-Konzerte zur Mittagszeit oder Festivals eingeführt. Uns erschien das alleinige Standbein Abonnements auf Dauer zu riskant und wir wollten auf ein neues Publikum zugehen.
Hat es funktioniert?
Ja. Das zeigt sich beispielsweise an den guten Auslastungszahlen nach der Pandemie. Wir waren gar nicht so überrascht von der allgemeinen Forderung, etwas in der traditionellen Programmierung zu ändern, denn wir haben bereits ein neueres, auch jüngeres Publikum über die Jahre gewinnen können. Es ist ein Publikum, das nicht ein Jahr im Voraus ein Abonnement kaufen will. Es ist eines, dass vier, fünf, sechs Mal im Jahr kommt, aber spontan erst kurz vorher Tickets kauft. Wir kennen unser Publikum und können es gezielt mit individuellen Programmvorschlägen anschreiben.
Das Konzerthausorchester, das aus dem Berliner Sinfonie-Orchester hervorging, war bekannt für seinen treuen Abonnentenstamm. Lange Jahre war von 12.000 Abonnenten die Rede.
Wir sind jetzt bei rund 10.000 Abonnenten. Über die Pandemie haben wir, wie fast alle, einige verloren, aber mit der einkehrenden Normalität war der Saal wieder rappelvoll. Es ist zum Teil ein neues Publikum. Wir können glücklich sein, in Berlin, einer Welthauptstadt der Musik, zu sein. Hier gibt es eine große Nachfrage, und zusätzlich kommen viele extra angereist.
Was heißt das für Ihre künftigen Planungen?
Ich denke, wir werden nicht wie früher ein Jahr vorher wissen, wie unsere Konzerte verkauft sind. Wir wissen das teilweise erst am Tag selbst. Wir haben zur Zeit lange Schlangen an den Abendkassen. Es hat sich postpandemisch einiges verändert. Darauf müssen wir reagieren. Beispielsweise hatten wir während der Pandemie das Festival „Aus den Fugen“ geplant, bei dem wir die Schraube zum progressiven Formatdenken noch weitergedreht haben. In den zwei Festivalwochen haben wir 61 Prozent neue Besucherinnen und Besucher gewonnen.
Letztlich bleibt der Besucher doch ein unbekanntes Wesen?
Damit bewegen wir uns in den Themenfeldern des Marketings und der Kommunikation. Wir wissen heute, wann ein Besucher oder eine Besucherin kauft, wie viel er ausgibt und ob sie wiederkommt. Mit digitalen Tools kann man die Menschen unterschiedlich ansprechen. Denn das Kaufverhalten hat sich in den letzten zwanzig Jahren deutlich verändert. In Berlin gibt es nicht nur das Stammpublikum, sondern ein wanderndes „Kulturvolk“. Ich spreche gern von Kulturnomaden, die in Berlin überall dorthin gehen, wo etwas Neues angesagt ist. Das können Neuinszenierungen, große Ausstellungen oder neue Chefdirigenten sein. Sie ziehen durch die unfassbar vielen Kulturinstitutionen dieser Stadt. Diese Nomaden wollen wir gewinnen, damit sie drei oder vier Mal im Jahr auch im Konzerthaus Station machen.
Gibt es denn noch etwas Verbindendes bei Ihren Konzertbesuchern?
Das Publikum der neueren Konzertformate verjüngt sich und verlangt nach aktuelleren Themen. Das ist beim klassischen Abokonzerten anders.
Was meinen Sie mit aktuellen Themen?
Wir haben zum Beispiel das Konzerthaus zur Zeit komplett eingerüstet, weil wir eine energetische Sanierung für mehrere Millionen Euro durchführen. Viele Besucherinnen und Besucher sind begeistert über diese ökologische Nachhaltigkeit. Wir machen dazu eigene Führungen backstage im Haus. Es werden Fragen über Fragen gestellt. Ein anderes Beispiel ist die Genderthematik, die in Berlin sehr stark ist. Wir werden häufig darauf angesprochen, dass wir zwei Konzertmeisterinnen, 50 Prozent Musikerinnen im Orchester und bald schon eine Chefdirigentin haben. Genau genommen müsste das heutzutage ein normaler Vorgang sein, aber es wird immer noch darüber diskutiert. Das sind relevante Themen auch für ein Konzerthaus, das das Zeitgeschehen reflektieren möchte. Und das machen wir proaktiv.
Das Konzerthaus will ein Trendsetter in neuen Konzertformaten sein. Was werden Sie jetzt ausprobieren?
Grundsätzlich geht es darum, dass sich die Freude des Orchesters am Musizieren auf das Publikum übertragen sollte. Das Konzert ist auch ein Erlebnisort, an dem wir emotional überwältigen wollen. Ich will jetzt noch nicht zu viel verraten, was Joana Mallwitz alles an neuen Formaten mitbringen wird. Aber wir wollten sie auch als Chefdirigentin, weil sie eine so begeisterte Vermittlerin ist. Sie möchte vor jedem Abokonzert eine Viertelstunde in das Programm einführen. Sie selbst will Interessierten erklären, was sie an dem Abend vorhat. Ich finde das großartig!
Bei Ihnen klingt alles gerade so zuversichtlich. Was sind die bitteren Momente?
Die bitterste Erfahrung meiner Amtszeit war das Jubiläum zum 200-jährigen Bestehen des Konzerthauses im Jahr 2021. Wir hatten mit Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“, die hier uraufgeführt worden war, eine spannende 360-Grad-Inszenierung vorbereitet. Dann bekamen wir das Publikum wegen der Pandemie nicht in den Saal. Zumindest konnten wir eine Übertragung auf den Gendarmenmarkt organisieren. An diesem Jubiläum hatten wir bereits seit meinem Start 2009 gefeilt.
Gemeint waren mit der Frage mehr gegenwärtige Probleme?
In der Momentaufnahme bin ich ein sehr glücklicher Intendant. Es gibt keine Testungen mehr, der Saal ist voll, die künstlerische Qualität stimmt und die Künstler können wieder reisen. Was die Zukunft bringt, wissen wir im Moment alle nicht.
Mit welchem Ergebnis haben Sie das vergangene Jahr abgeschlossen?
Anfangs lief es natürlich nicht so gut wie in den Jahren vor der Pandemie. In der ersten Hälfte der laufenden Spielzeit 2022/23 erzielte das Konzerthaus jedoch nahezu wieder dieselben Besucherzahlen wie in der letzten regulären, nicht von Corona beeinträchtigten Saison 2019: Die insgesamt 109 eigenen Veranstaltungen sind zu knapp 85 Prozent ausgelastet. Im Vergleich dazu: 2019 waren es 87 Prozent.
In Berlin hat der Wahlkampf für die Wahlwiederholung im Februar begonnen. Erwarten Sie anschließend irgendwelche Veränderungen für das Konzerthaus?
Ich erwarte für die nächsten Jahre überhaupt viele Veränderungen. Wir sehen die Inflationszahlen und wie schwierig es wird, die Einnahmen parallel zu den steigenden Kosten zu erhöhen. Wir werden als Landesinstitution diese Diskussionen führen müssen. Denn wir können und wollen nicht einfach die Kartenpreise verdoppeln, weil sich die Kosten verdoppeln. Alle Institutionen müssen sich mit dieser aufklappenden Schere auseinandersetzen. Zum Teil gibt es kurzfristige Ausgleichszahlungen durch Land oder Bund. Aber das ist kein langfristiges Modell. Irgendwo muss das Geld am Ende herkommen. Es gibt viele Fragezeichen.