Als Ennio Morricone das Angebot bekam, die Musik zu Giuseppe Tornatores Film „Cinema Paradiso“ (1988) zu komponieren, lehnte er erst ab. Der Produzent bat ihn, erst mal das Drehbuch zu lesen. Danach rief der Komponist beim Regisseur an: „Können wir reden?“ Und schrieb eine seiner schönsten Scores. Der Film ist eine einzige Liebeserklärung ans Kino. Und Morricones Musik kongenial eine Hymne darauf.
Über 30 Jahre später revanchierte sich Tornatore. Und drehte, kurz vor dessen Tod, einen einzigartigen Dokumentarfilm über den größten Komponisten der Filmgeschichte: „Ennio Morricone – Der Maestro“. Im Original heißt er knapper und intimer: „Ennio“. Eine einzige Hymne auf Morricone.
Der Maestro trällert seine Melodien - und gibt den Kojoten
Dabei kommt der Zuschauer ihm ganz nah. Und sitzt mit ihm in dessen beeindruckend unaufgeräumtem Arbeitszimmer. Hier erzählt Morricone selbstironisch von seinem langen Werk und Wirken. Faszinierend ist, dass das von früh an mit Archivbildern illustriert werden kann.
Erste Aufnahmen zeigen bereits den Schüler am Konservatorium. Spätere Showmitschnitte belegen, wie er dann mit seinen wilden, überraschenden Arrangements erst die Schlagerwelt Italiens revolutionierte. Und dann das Kino – was mit vielerlei Ausschnitten aus seinen Klassikern untermalt wird: von den frühen Italo-Western wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ bis zu Epen wie „Es war einmal in Amerika“ und „Mission“.
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Auch zahlreiche Weggefährten kommen zu Wort. Regisseure wie Oliver Stone und Quentin Tarantino, Schauspieler wie Clint Eastwood, Komponisten wie John Williams und Hans Zimmer, Musiker wie Joan Baez und Bruce Springsteen. Am schönsten aber sind die Momente, wenn Morricone in seinem Studio sitzt und einfach erzählt.
Oder seine berühmten Melodien vorträllert. Allein zu erleben, wie er den Kojotenschrei aus „Zwei glorreichen Halunken“ nachahmt, lohnt den Gang ins Kino. Immer wieder dirigiert Morricone seine Werke auch. Daheim vor dem Plattenspieler. Und dann, Schnitt, vor großem Orchester.
Zwei Seelen, ach, in einer Brust, die erst spät versöhnt wurden
Man erfährt von überraschenden Minderwertigkeitskomplexen. Dass Morricone lange darunter litt, dass seine einstigen Professoren ihn nicht ernst genommen haben. Und dass er mehrfach die Filmmusik aufgeben wollte, weil er sich als Komponist klassischer Konzertmusik verstand.
Zwei Seelen, ach, in einer Brust. Und dann ist da noch Maria, seine Frau, die nichts vom Komponieren verstand, aber stets die Erste war, die seine Melodien hörte. Und nur wenn sie sie für gut befand, bekamen sie auch die Regisseure zu hören.
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Die Äußerungen seiner Interviewpartner stutzt Tornatore zuweilen in eine Montage, so dass sie nur Wortfetzen sagen und sich daraus ein Ganzes bildet. Ein mehrstimmiger Satz, wie eine Morricone-Komposition.
Juwelen der Doku sind die Passagen, wenn berühmte Filmszenen erst mit der Musik gezeigt werden, die sich die Regisseure vorstellten, und dann mit dem, was Morricone daraus machte. Da lernt auch der Laie viel übers Komponieren.
Ein Werk wie eine Symphonie. Ein Film, der mit zweieinhalb Stunden viel zu kurz ist. Weil Morricones Werk so reich ist und viele Scores kaum vorkommen. Tornatore nimmt sich dabei bescheiden zurück und lässt seine Werke zuerst aus. Eine würdige Hommage. Ja, ein Monument für „Ennio“, der im Juli 2020 verstarb und die Premiere des Films nicht mehr erleben durfte.
Dokumentarfilm I 2021, 151 min., von Giuseppe Tornatore, mit Ennio Morricone, Clint Eastwood, Bruce Springsteen, Quentin Tarantino, Joan Baez, John Willliams, Hans Zimmer, Oliver Stone