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„Frieden, Liebe und Death Metal“: Aus der Spur geworfen

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Frieden, Liebe und Death Metal: Ramón (Nahuel Pérez-Biscayart) und Céline (Noémie Merlant)

Frieden, Liebe und Death Metal: Ramón (Nahuel Pérez-Biscayart) und Céline (Noémie Merlant)

Foto: Studiocanal

„Frieden, Liebe und Death Metal“: ist ein Film über den Anschlag im Pariser Bataclan, seine Folgen – und die Tücken der Erinnerung.

Ein junges Paar läuft nachts in golden glitzernden Umhängen durch leere Straßen. Vorbei an Bussen, in denen andere junge Menschen in ebensolchem Glitzer sitzen und entrückt aus den Fenstern schauen. Leuchtende Partikel schwirren durch die Luft. Alle wirken verträumt, wie in Trance, als hätten sie gerade etwas ganz Besonderes erlebt.

„Frieden, Liebe und Death Metal“: Wie umgehen mit dem Trauma des Anschlags?

Das haben sie auch. Aber der Film verrät nicht gleich, was. Die Glitzerumhänge sind Rettungsfolien, und die flirrenden Partikel, von denen das Paar später schwärmen wird, wie schön sie ausgesehen hätten, sind in Wahrheit Schießpulver und Leichendunst. Céline (Noémie Merlant) und Ramón (Nahuel Pérez Biscayart) waren an jenem schicksalhaften Abend des 13. November 2015 in der Pariser Konzerthalle Bataclan, als Attentäter der Terrororganisation Islamischer Staat dort ein Blutbad anrichteten, 89 Menschen töteten und Hunderte verletzten.

Der Film „Frieden, Liebe und Death Metal“ des spanischen Regisseurs Isaki Lacuesta basiert auf den gleichnamigen Erinnerungen eines Überlebenden, Rámon Gonzáles. Aber er stellt die traumatischen Ereignisse nicht minutiös nach, wie dies etwa der Film „Utøya 22. Juli“ (2018) über das Massaker in Norwegen 2011 getan hat. Sie werden immer wieder schockartig in Rückblenden angerissen, wie Erinnerungsfetzen, die in den unmöglichsten Momenten aufblitzen. Denn Lacuesta stellt die Traumatisierung danach in den Fokus seiner Geschichte. Und damit die Frage, wie man damit umgehen kann.

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Der Trailer zum Film: „Frieden, Liebe und Death Metal“

Während der deutsche Verleih den etwas irreführenden Titel der Buchvorlage übernimmt, trug der Film, als er im Februar auf der Berlinale Premiere feierte, noch den Originaltitel „Un año, una noche“. Das umreißt klarer das Spannungsfeld zwischen der einen Nacht, in der die grauenhaften Gewalttaten sich ereignet haben, und was das mit denen macht, die sie miterleben mussten. Die Zeitspanne ist nicht zufällig, es geht dabei auch um das Trauerjahr, in dem man gemeinhin verschiedene Phasen der Bewältigung durchmacht.

Die eine will vergessen, der andere kann an nichts anderes mehr denken

Céline und Ramón tun dies auf diametral unterschiedliche Art. Die Französin verdrängt das Geschehen, verpanzert sich, erzählt niemandem davon, nicht mal der eigenen Mutter oder ihren Arbeitskollegen, und versucht, einfach ihr altes, normales Leben weiterzuführen.

Für ihren spanischen Freund Ramón dagegen ist nichts mehr normal, er kann an nichts anderes mehr denken – und hat doch zugleich panische Angst davor, etwas zu vergessen. Weshalb er fast manisch die Ereignisse immer wieder durchgeht und festhalten will. Das führt zu immer mehr Spannungen zwischen dem einst so vertrauten Paar, weil beide nicht ertragen können, wie der andere sich verhält, und stellt sie schließlich vor eine essenzielle Zerreißprobe.

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„Frieden, Liebe und Death Metal“ ist einer von gleich mehreren Filmen, die zum siebten Jahrestag der Anschläge, die eine ganze Nation, ja die Welt traumatisierten, ins Kino kommen und diese auch cineastisch auf sehr unterschiedliche Weise verarbeiten. In die deutschen Kinos kam bisher „November“ (vor zwei Monaten), der die Polizeiarbeit danach als harten Thriller stilisiert.

Und „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ (vor einem Monat), in dem ein Mann den Schmerz um den Verlust seiner Frau verarbeitet. Jener Film basierte auf dem titelgebenden Facebook-Post von Antoine Leiri, den er an die Attentäter richtete. Und diesen Post diskutierten auch Céline und Ramón mit ihren Freunden. So verdichten sich die filmischen Versuche, das Trauma zu verarbeiten, zu einem vielschichtigen Geflecht aus Querbezügen.

Die Verstörung überträgt sich direkt auf den Zuschauer

Lacuesta geht es aber neben dem Schock des Anschlags auch um dass Erinnern an sich und seinen trügerischen Wert gerade nach einem derart traumatischen Erlebnis. So wie der Regisseur anfangs auf die so friedlich falsche Fährte führt, stellt er im Folgenden immer wieder die Erinnerungen seiner Protagonisten in Frage. Deren Verstörung und Verunsicherung wird ganz bildlich übersetzt, indem die Kamera wackelt oder sich in Unschärfe verliert.

Der Film wird so zu einem immersiven Erlebnis für den Zuschauer, wobei der nicht nur die unterschiedlichen, bruchhaften Erinnerungsfetzen zusammensetzen muss, sondern sich auch fragen muss, inwieweit die aus der Spur geworfenen Protagonisten, mit denen er doch mitleidet, als Zeugen überhaupt glaubhaft sind. Am Ende muss man sich fragen, ob man alles richtig verstanden oder falsch zusammengesetzt hat. Damit überträgt sich die Verstörung und Orientierungslosigkeit direkt. Und wirkt auch lange nach dem Kinobesuch nach.

Drama Spanien/Frankreich 2022, 130 min., von Isaki Lacuesta, mit Noémie Merlant, Nahuel Perez Biscayart, Quim Gutiérrez