Dirigentin Giedrė Šlekytė probt gerade an der Staatsoper. Ihr lächelndes Wesen fällt im Gespräch zuerst auf. Dennoch geraten wir über Mozarts „Zauberflöte“, die sie am Dienstag erstmals im Haus Unter den Linden dirigieren wird, schnell in ernste Themen. Hinter ihrem Lächeln offenbart sich Nachdenklichkeit und noch mehr Leidenschaft. „Das ist jetzt meine achte ,Zauberflöte’. Ich habe also schon sehr verschiedene Produktionen dirigiert“, sagt die 33-jährige Litauerin zu Beginn unseres Gesprächs. „Die Oper ist sowohl für Kinder wie für Erwachsene. Sie ist für Musikliebhaber und Experten wie für Leute, die zum ersten Mal in die Oper gehen. Es gehört zu Mozarts Genie, dass er eine für alle zugängliche Musik komponierte, darin aber gleichzeitig Dinge versteckt sind, die vielleicht nur Musiker herausfinden können.“
Ein Blick in ihre Bilderbuch-Karriere zeigt, dass sie die „Zauberflöte“ erstmals während ihres Engagements als Erste Kapellmeisterin am Stadttheater Klagenfurt dirigiert hat. Das Engagement endete 2018, sie blieb in der Stadt wohnen. Und reist seither viel umher. Unter anderem ist sie Assistentin des Berliner Stardirigenten Vladimir Jurowski an der Bayerischen Staatsoper in München. Womit klar sein dürfte, dass Giedrė Šlekytė zur neuen Klassikelite gehört. In Berlin wird sie im Juli an der Deutschen Oper mit dem „Rigoletto“ debütieren. Im April dirigiert sie im Boulez-Saal.
Eine der acht „Zauberflöten“ hat sie übrigens in Tokio gemacht. „Was sich jedes Mal verändert, ist die Sängerbesetzung. Und es ist eine andere Inszenierung“, sagt Giedrė Šlekytė mit Blick auf die aktuellen Proben. „Die Produktion hatte August Everding 1994 gemacht, und sie genießt heute einen Kultstatus. Meine Entdeckungen sind diesmal überwiegend mit Menschen verbunden.“
Die „Zauberflöte“ gehöre zu den Opern, die heute am schwersten zu inszenieren seien, sagt Giedrė Šlekytė. „Das Publikum ist sehr gespalten. Ein Teil will keine zu moderne Regie, sondern die Tradition erleben. Der andere Teil meint, er habe die Oper schon so oft gesehen und braucht eine gewagte Neudeutung. Eigentlich kann man mit keiner neuen ,Zauberflöte’ heutzutage einen einhelligen Erfolg haben.“
Auch die „Zauberflöte“ liegt auf dem Seziertisch der politischen Korrektheit
Darüber hinaus liegt die „Zauberflöte“ wie viele andere Opernklassiker des Repertoires heute auf dem Seziertisch der politischen Korrektheit. Es geht um frauenfeindliche oder auch rassistische Vorwürfe. „Beim Thema Sexismus in der ,Zauberflöte’ kann ich nur sagen: Bitte lest das Stück zu Ende“, sagt die Dirigentin. „Im zweiten Finale wird besungen, dass Pamina eingeweiht wird. Sie wird damit die erste Frau in der Reihe der Eingeweihten.“ Das empfindet sie als eine viel stärkere Botschaft in der „Zauberflöte“. „Mozart schuf unglaublich starke Frauenfiguren“, betont Giedrė Šlekytė. Dazu gehöre die Pamina. „Sie ist gefühlvoll und mutig. Ich finde es viel schwerer, sich mit einem Tamino zu identifizieren.“
Darüber hinaus glaubt die Dirigentin, dass man sich immer die konkrete Situation in den Werken anschauen müsse. „Es ist nicht so, dass man immer alles in Gut und Böse aufteilen kann. In der ,Zauberflöte’ wird die Ungerechtigkeit dargestellt“, sagt sie. „Wir müssen lernen, mit furchtbaren Aussagen aus früheren Zeiten umzugehen. Es genügt nicht, ein bisschen an der Sprache zu feilen, aber die rassistischen Anspielungen drin zu lassen. Das ist eine Doppelmoral.“ Genau genommen spricht sie sich eher für die Praxis aus, die heute Kontextualisierung genannt.
Statuen und Kunstwerke wecken traumatische Erinnerungen
„Es geht darum, wie wir mit unserer Vergangenheit überhaupt umgehen“, sagt Giedrė Šlekytė. „So zu tun, als habe etwas nicht stattgefunden, finde ich falsch. Das kann in der Gesellschaft später wieder aufbrechen. In Litauen haben wir starke Diskussionen, weil es durch die lange russische und sowjetische Herrschaft viele Gebäude, Statuen oder Kunstwerke im Land gibt. Sie wecken traumatische Erinnerungen.“ Die müssten verarbeitet werden. „Es genügt nicht, die Statuen wegzuräumen, denn wir leben noch immer mit den Problemen. Wir erleben in der Ukraine gerade, dass Russland immer noch diese imperialen Gedanken hegt und mit einem Krieg expandieren will.“ Und sie würden im russischen Fernsehen heute Lieder singen, wonach ihnen auch das Baltikum gehöre.
Russisch hat Giedrė Šlekytė nicht mehr lernen müssen. Sie wurde 1989 geboren. Ihr Vater ist Mathematiker, die Mutter Zahnärztin. Mit Musik sei sie weniger durch die Familie in Berührung gelangt, sagt sie. „Tatsächlich bin ich durch die musikalische Ausbildung in der Schule dazu gekommen.“ Dabei handelt es sich um eine Spezialschule, in der litauische Künstler heranwachsen.
Ihre Ausbildung hat sie dann in Österreich, Deutschland und der Schweiz gemacht. „Deshalb ist die Musik aus dem deutschsprachigen Raum ein wichtiger Teil meiner musikalischen Identität“, sagt sie. „Zusätzlich liebe ich Oper vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus habe ich Leos Janacek und die tschechische Musik für mich entdeckt.“ An der Komischen Oper hatte sie bereits „Katja Kabanova“ dirigiert. Ist es ein Traumberuf? „Jeder Beruf hat seine Vor- und seine Nachteile“, sagt die Dirigentin. „Es ist ein sehr schöner, aber kein leichter Beruf. Der psychologische Aspekt von Verantwortung wiegt schon schwer.“
Staatsoper Unter den Linden, Mitte. Tel. 20354555.„Zauberflöte“ am 13., 14., 16. und 26.12.