Mit ihrem Programm „Swinging Christmas“ im Kammermusiksaal holen Andrej Hermlin und seine beiden Kinder alias „Swingin’ Hermlins“ mitsamt einer exquisit zusammengestellten Swingcombo die Berlinerinnen und Berliner aus dem Vorweihnachtstief. Andrej Hermlin, der mittlerweile deutschlandweit bekannte Swing-Wiederbeleber aus Pankow, weiß dieses Tief in seinen Moderationen bewusst – und mit Recht – zu inszenieren und plastisch auszuschmücken: die Sorgen und Unsicherheiten von Inflation und Energiekrise, die viele Menschen betreffen.
Mit Pomade à la Frank Sinatra oder Tommy Dorsey im Haar stellt sich Hermlin vor das historisch schnarrende Mikrofon und erinnert das Publikum an die Krise der Kulturszene, die sich nach Corona bei weitem nicht erholt hat: Dass der Kammermusiksaal an diesem Abend fast ausverkauft ist – das, so Hermlin, sei dabei eine rühmliche Ausnahme. Dass es in den kommenden Tagen richtig kalt wird und wohl auch die Letzten die teure Heizung anschmeißen müssen – auch das spielt in Hermlins Ansprachen eine Rolle.
Diese Aktualitäten treten in eine sehr charismatische Spannung zu dem Gute-alte-Zeit-Modus und der Weltflucht, mit dem diese Swingband in ihren steifen Dreißiger-Jahre-Kostümen eigentlich ihr Geschäftsmodell gefunden hat. Hermlin kombiniert Stilbewusstsein und Nostalgie und macht dabei doch deutlich, dass wir uns im Hier und Jetzt bewegen. Dazu gehört auch, dass er mehr als früher auf die blumenreiche Schilderung des historischen musikalischen Swing und seiner alten Stars verzichtet.
David Hermlin, Sohn des Bandleaders, ist der neue Star der Truppe
Der neue Star ist David Hermlin. Der Sohn des Bandleaders ist mittlerweile das musikalische Herz der Swingin’ Hermlins und beeindruckt durch seine Vielseitigkeit und Virtuosität – am Schlagzeug, als Sänger sowie an allen bekannten und neu erfundenen Instrumenten: einem Grammophon-Trichter, dem er mit Hilfe seiner Stimme wirkungsvoll physikalische Naturtöne entlockt, einem Posaunendämpfer, mit dem er im Duett mit seiner singenden Schwester Rachel Hermlin den Blechblas-Klang alter knisternder Schallplattenaufnahmen simuliert – und das kleine Becken, mit dem er durch die Reihen seiner blasenden und gitarrenden Kollegen schlendert und quasi mit dem kleinen Finger rhythmische Finessen zum besten gibt. Atemberaubende Swing-Soli von Gitarristen, Trompetern und dem Kontrabassisten der Swingin’ Hermlins ergänzen dies zu einem runden und mitreißenden Ganzen.
Apropos Hier und Jetzt: Auch zur woke gendernden Gegenwart wird sich Vater Andrej in Zukunft stärker verhalten müssen. Aus historischer Sicht geht es noch an, dass Tochter Rachel Hermlin mit ihrer beeindruckend gereiften Stimme in einem reinen Männerensemble die Rolle als musikalisches Sahnehäubchen einnimmt. Als Sängerin und Tänzerin hat diese junge Frau größtes Potenzial, und nicht nur im Swing. Erst wenn das Ensemble ihr mehr Platz im Programm und auf der Vorderbühne lässt, wird sie dieses Potenzial zu nutzen wissen und vollends ihren eigenen Stil finden.