Berlin. Gewaltiger Andrang in der Philharmonie, lange Schlangen vor den Garderoben. So lang, dass die Pianistin Martha Argerich erst ein paar Minuten später beginnt. Doch das ist nicht weiter schlimm. Denn ihr offizielles Duo-Programm mit dem Cellisten Mischa Maisky braucht diesmal nicht viel Zeit: drei Moll-Sonaten von Beethoven, Debussy und Chopin. Knappe 70 Minuten insgesamt. Und alles so flott, so munter, so kurzweilig, dass man sich erstaunt die Ohren reibt: Spielen hier tatsächlich eine 81-jährige Pianistin und ein 74-jähriger Cellist? Zugegeben – Maiskys Celloton scheint im Forte nicht mehr so voluminös und tragfähig zu sein wie noch vor 30 Jahren. Sein Vibrato wirkt manchmal übertrieben und aufgesetzt, seine Intonation in Stresssituationen eine Spur zu hoch.
Aber Maiskys schonungsloser Ausdruckswille macht das mehr als wett. Und jene Mühen, denen er sich dabei aussetzt, stehen im lebendigen Kontrast zur Souveränität der Argerich. Hinzu kommt, dass sich beide seit vielen Jahrzehnten kennen. Argerich weiß genau, wo der emotionale Maisky starke Führung braucht, wann sie ihm Freiheiten gönnen kann – und in welchen Momenten sie ihn anstacheln möchte. Sie neckt ihn dann mit pieksenden Akzenten, kleinen Tempobeschleunigungen oder auch mit plötzlichen Crescendi.
Der Cellist lässt sich bereitwillig lenken
Keine Frage: Die Argerich gibt den Ton an. Es ist eindeutig ein Abend für Klavier und Cello, nicht für Cello und Klavier. Sogar bei Chopins g-Moll-Sonate op. 65 merkt man das: Die Argerich nimmt sich hier zwar etwas zurück, behält aber die Fäden in der Hand. Sie ist diejenige, die über Tempo und Agogik bestimmt. Bezeichnend dafür der Anfang des Scherzo-Satzes, die einzige Stelle, an der Maisky das Tempo vorgibt, und das ein wenig hastig: Bereits nach ein paar Takten hat die Argerich ihren Partner wieder eingefangen. Und ihn auf ein Tempo eingeschworen, das dem musikalischen Ausdruck mehr Raum gibt. Im Finale dagegen der umgekehrte Fall: Argerich setzt hier auf gradlinige Virtuosität, und Maisky zieht mit – obwohl zu spüren ist, dass er seine musikalischen Bögen gern breiter und länger gespannt hätte.
Vielleicht ist gerade dies der Grund dafür, warum Mischa Maisky noch immer nicht in einem Atemzug mit Cellisten wie Emanuel Feuermann, Mstislaw Rostropowitsch oder Yo-Yo Ma genannt wird. Wenn es darauf ankommt, lässt Maisky sich bereitwillig lenken. Im Ernstfall ordnet er sein großes Ego einem noch größeren Ego unter. Martha Argerich wiederum scheint die Neigung zu haben, Kammermusik-Partner zu wählen, die ihr kaum das Wasser reichen können. Oder die ihr – wie Maisky an diesem Abend – das Wasser gar nicht reichen wollen. Dass diese Partnerschaft so gut funktioniert, hat aber auch noch einen anderen Grund: Argerich und Maisky sind beide Vollblut-Romantiker. Selbst Beethovens frühe g-Moll-Cellosonate aus dem Jahre 1796 klingt bei ihnen bereits nach lyrischem Robert Schumann. Ausgestattet mit geheimnisvollen Pianissimi, träumerischen Klangflächen und poetischen Farbschattierungen.