Philharmonie

Ungeheuerliche Klänge aus zwei PET-Flaschen

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Mario-Felix Vogt
Titus Engel dirigierte Nationale Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks in der Philharmonie.

Titus Engel dirigierte Nationale Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks in der Philharmonie.

Foto: Grzesiek Mart

Schlagzeugvirtuosin Vivi Vassileva spielte in der ungewöhnlichen Konzertreihe „hiddenCLSX“ in der Philharmonie.

Das Nationale Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks präsentierte sich am Sonntag mit der fulminanten Schlagzeugvirtuosin Vivi Vassileva. Es war der Saisonauftakt der neuen Konzertreihe „hiddenCLSX“, die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Musikmanager Karsten Witt für die Philharmonie entwickelt wurde. Meisterwerke des 20. Jahrhunderts sollen von renommierten Orchestern präsentiert werden. Fester Bestandteil der „hiddenCLSX“-Veranstaltungen sind eigenständige Reden von Wissenschaftlerinnen und Künstlern, die sich auf bestimmte Aspekte der jeweiligen Programme beziehen.

Eröffnet wurde der Abend mit Zemlinskys „Sinfonietta“ aus dem Jahr 1934. Sie ist in einem Stil verfasst, der in der Tradition wurzelt, jedoch bereits den Tonfall der Moderne andeutet. Der schweizerische Dirigent Titus Engel agierte mit großer Präzision und vollem emotionalen Engagement. Er brachte das wunderbar homogen klingende polnische Rundfunkorchester sowohl zu mitreißenden Steigerungen als auch zu tänzerischer Leichtigkeit, nur die leisen intimen Momente in Zemlinskys Stück kamen ein wenig zu kurz.

Die Blechbläser offenbarten eine hohe Pianissimo-Kultur

Die gelingen dafür in Witold Lutoslawskis Orchesterstück „Mi-parti“ von 1976 umso besser. Es ist absolut faszinierend, welche Klanglandschaften Engel und das exzellente polnische Orchester hier erschufen. Irisierende Flächensounds, die immer wieder durch Glissandi unterbrochen werden, eröffneten den Raum für wechselnde Bläsersoli. Hier zeigten vor allem die Blechbläser, was sie können, und beeindruckten durch eine hohe Pianissimo-Kultur. Es herrschte eine latent bedrohliche Stimmung, die auf einen apokalyptischen Höhepunkt zustrebte. Auf diesen folgte ein tröstlicher Schluss.

Anschließend betrat der Schriftsteller Philipp Blom die Bühne. Er ging in seiner gut verständlichen und überzeugenden Rede dem Motto des Konzert nach: „Wohin gehen wir?“ Unsere Gesellschaft kämpfe gegen das Verschwinden und das Vergessen an, sagte er, weshalb wir eine Kultur des musealen Bewahrens geschaffen haben. Dennoch sei vieles verschwunden: Die Artenvielfalt der Tiere habe sich dezimiert und die Gletscher seien geschmolzen. Wir hätten unsere Stärken exzessiv überdehnt, dadurch seien sie zu einer Schwäche geworden. Um zu überleben, müssten wir uns neu erfinden, forderte Blom, denn die Wachstumsgesellschaft habe keine Zukunft mehr.

Die Schlagzeugerin spielte virtuos mit zwei PET-Flaschen

Das Finale bildete Friedrich Cerhas Schlagzeugkonzert von 2008. Es ist ein Werk in gemäßigt modernem Stil in drei Sätzen, die alle ineinander übergehen. Hier präsentierte sich die bulgarischstämmige Schlagzeugerin Vivi Vassileva als brillante Solistin, die voller Musizierfreude zwischen drei verschiedenen Schlagzeug- und Percussion-Sets hin und herwirbelte. Dabei gab es immer wieder beeindruckende Duelle zwischen Vassileva und den Orchesterschlagzeugern. Leider beschränkt sich Cerhas Gestaltung des Soloparts auf traditionelle Virtuosität, er nutzte nicht die Möglichkeit, einzelne Percussioninstrumente durch ungewöhnliche Spieltechniken in ihrer klanglichen Vielfalt auszureizen.

Als sei Vassileva dieses Defizit bewusst, zeigte sie in ihren Zugaben, was man mit geringem Instrumentarium alles machen kann. Was die Schlagzeugerin etwa in der „Kadenz für zwei Plastikflaschen“ aus dem „Recycling Concerto“ von Gregor A. Mayrhofer durch Klopfen, Kratzen, Schlagen und Schleudern an Klängen aus zwei PET-Flaschen zauberte, war ungeheuerlich. Dafür gab es in der gut besuchten Philharmonie stehende Ovationen.