Neuköllner Oper

Ein Dirigent, der keine Grenzen kannte

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Volker Blech
Dirigent Hans-Peter Kirchberg.

Dirigent Hans-Peter Kirchberg.

Foto: MATTHIAS HEYDE

Neuköllner Oper verabschiedet ihren Musikalischen Direktor Hans-Peter Kirchberg in den Ruhestand. Es soll keinen Nachfolger mehr geben.

Berlin. Nach 102 Premieren und mehr als 2000 Vorstellungen hatte Dirigent Hans-Peter Kirchberg auf seiner Homepage mitgeteilt: „Mein letzter Vorhang ist gefallen ... nach exakt 20 Jahren als Musikalischer Direktor der Neuköllner Oper und fast 30 Jahre nach meiner ersten Premiere ,Der Spielverderber’ am selben Haus beende ich meine Tätigkeit und trete ins Rentenalter.“ Es habe alles seine Zeit, erklärt der 66-Jährige am Montag am Telefon. „Es gibt auch andere Dinge, die man machen kann. Und es gibt auch andere Leute, die meine Arbeit machen können.“ Als Liedbegleiter möchte er weiter der Musik treu bleiben.

Irgendwann im Gespräch verweist der langjährige Musikchef darauf, dass man die Neuköllner Oper gern als das vierte Opernhaus Berlins bezeichnet. „Es war das Haus, das immer Frische hereingebracht hat.“ Seit 1972 entstehen dort Werke fürs Musiktheater. „Dort war ständig etwas in Bewegung, weil die Neuköllner Oper immer sehr produktiv war und auf aktuelle zeitnahe Probleme und Missstände eingegangen ist“, sagt Hans-Peter Kirchberg. „Dadurch wurden immer neue Stücke erfunden.“ Wenn man die 102 Premieren in seiner Bilanz aufzählt, müsste man korrekterweise von Ur- und Erstaufführungen sprechen. Selbst berühmte Opern wie „Carmen“ oder „Rigoletto“ wurden immer in neuen Lesarten und Besetzungen präsentiert. „Jede Produktion hat polarisiert“, sagt Kirchberg, „Gegenmeinungen herausgefordert.“

An der Neuköllner Oper hat er die unterschiedlichsten Werke dirigiert

Die Neuköllner Oper spielt seit 1988 im ehemaligen Festsaal der 1909 erbauten Passage an der Karl-Marx-Straße, mit bis zu 220 Plätzen im großen Saal und 60 Plätzen in der Studiobühne. Hans-Peter Kirchberg war seit 1992 zuständig für die Erarbeitung und musikalische Leitung der unterschiedlichsten Werke. Es reichte von zahlreichen Musicals von Peter Lund und seinen Komponisten (unter anderen das genrebildende „Wunder von Neukölln“ oder „Stella. Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“) bis hin zu Kammeropern wie „Angela – eine Nationaloper“ im U-Bahnhof Reichstag.

„Das war die aufwendigste Produktion“, sagt Kirchberg rückblickend. „Es ist zwanzig Jahre her, da war der U-Bahnhof unterm Reichstag noch nicht eröffnet. Wir mussten erst den Bauraum einrichten, damit es auch akustisch und optisch ging. Das Projekt fand riesige Resonanz.“

Ursprünglich begann alles auf kleiner Bühne mit wenigen Mitteln

Als Musikchef war er auch zuständig für die Umsetzung der preisgekrönten Arbeiten des Berliner Opernpreises. „Die Machart hat sich verändert“, sagt Kirchberg über Entwicklungen. „Die technischen Gegebenheiten, was Ton- und Videotechnik betrifft, wurden erweitert.“ Denn ursprünglich begann alles auf einer kleinen Bühne mit wenigen Mitteln.

Winfried Radeke, Komponist und Erfinder der Neuköllner Oper, bezeichnet HP Kirchberg als seine rechte Hand, ohne den vieles nicht möglich gewesen wäre. Der künstlerische Leiter Bernhard Glocksin lobt ihn zum Abschied als „einen wahren Generalisten“.

An der Neuköllner Oper sei vieles im Umbruch, sagt Hans-Peter Kirchberg. „Mit neuen Leuten und neuen Ideen. Ich bin schon ein bisschen Urgestein.“ Der Generationswechsel läuft aber anders ab als man denkt. Aus dem Haus ist zu hören, dass es künftig keinen übergreifenden musikalischen Leiter mehr geben wird.

Inzwischen werden ganze Ensemble ins Opernhaus eingeladen

„Die ganze Struktur ist moderner geworden“, erklärt der scheidende Musikchef. „Inzwischen hat es sich ergeben, dass ganze Ensembles eingeladen werden. Es hat den Vorteil, dass die Leute sich kennen. Das Stehgreif.orchester nenne ich mal als Hausnummer. Es hat meine Arbeit immer mehr reduziert.“

Hans-Peter Kirchberg stammt aus Leipzig, wo er die Thomasschule besuchte. Er studierte Klavier und Dirigieren an der Dresdner Musikhochschule. Er war Solorepetitor am Opernhaus Chemnitz, 1. Kapellmeister in Zwickau und Chefdirigent des Sinfonischen Studio-Orchesters Leipzig. Obwohl es dann gar nicht so geplant war, sagt er im Gespräch, die Neuköllner Oper wurde „auch mein Lebensinhalt“.