Philharmonie

Teodor Currentzis lässt Zeit und Raum verschwimmen

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Felix Stephan
 War in Berlin zu Gast: Teodor Currentzis.

 War in Berlin zu Gast: Teodor Currentzis.

Foto: Nikita Chuntomov

Zwischen Wunschkonzert und „Der Weiße Hai“: Der griechische Dirigent dirigiert sein Utopia-Orchester in der Philharmonie.

Berlin. In Berlin ist Teodor Currentzis zwar schon öfters aufgetreten. Doch das hindert ihn nicht daran, nun ein weiteres Mal in der Philharmonie zu debütieren. Denn an diesem Abend kommt der griechische Dirigent nicht etwa mit seiner russischen MusicAeterna-Truppe, durch die er berühmt geworden ist. Er hat auch nicht das SWR Symphonieorchester dabei, das er seit der Saison 2018/19 als Chefdirigent leitet. Nein, diesmal bringt er Utopia mit. Ein Orchester, das Currentzis erst vor wenigen Wochen gegründet hat. Und das ganz ohne russischen Sponsor auskommt – im Gegensatz zu Currentzis‘ MusicAeterna.

Viel wichtiger allerdings ist die musikalische Idee, die hinter dem Projekt Utopia steckt: ein Ensemble zu schaffen mit Profis aus der ganzen Welt. Ein Ensemble, das die Begeisterungsfähigkeit eines Jugendorchesters besitzen soll. Und zugleich das hohe Niveau eines erwachsenen Spitzen-Klangkörpers.

Die Bläsersolisten holen sich Sonderapplaus ab

Currentzis hat dafür Musiker aus vielen traditionellen Orchestern zusammengetrommelt, darunter auch die Hornistin Sarah Willis von den Berliner Philharmonikern. Konzertmeisterin Olga Volkova dagegen stammt aus Currentzis‘ MusicAeterna. Ebenfalls an MusicAeterna erinnert, dass Utopia überwiegend im Stehen spielt. Sehr zur Freude des Publikums lässt Currentzis einzelne Bläsersolisten nach vorne an die Podiumsrampe eilen, um sich zwischen den Werken Sonderapplaus abzuholen.

Gewöhnlicher wiederum wirkt das musikalische Programm an sich – man könnte sogar von einem Wunschkonzert-Abend sprechen. Zuerst Igor Strawinskys „Feuervogel“-Suite in der kurzen ersten Hälfte. Danach drei Werke von Maurice Ravel, die ebenfalls mit Ballett und Tanz zu tun haben: die „Daphnis et Chloé“-Suite Nr. 2, „La Valse“ und als Zugabe der „Boléro“. Auch stilistisch mutet dieser Abend ziemlich einheitlich an: Beide Komponisten pflegen in diesem Repertoire die hohe Kunst des Orchesterklangzaubers. Und beide lassen sich dabei von Debussys Impressionismus inspirieren.

Im „Feuervogel“ wird geflüstert und geraunt

Umso auffälliger jetzt, wie unterschiedlich Currentzis die beiden Komponisten inszeniert. In Strawinskys „Feuervogel“-Suite versteckt er den riesigen Streicherapparat, der auf der Bühne weilt. Er zelebriert die pianissimo-Stellen, verlegt sich aufs Flüstern und Raunen. Genießerisch nachspüren und nachfühlen lässt er die Musiker hier, meditieren und träumen. Bei Currentzis klingt das „Feuervogel“-Märchen nicht mehr nach Ballettmusik. Es ist ein Zeitlupen-Werk, bei dem Raum und Zeit verschwimmen. Allerdings mit zwei Fremdkörpern: dem schockartig hineinplatzenden Höllentanz des Bösewichts Kaschtschei und den kriegerisch zugespitzten Schlusstakten des Final-Hymnus. Nach märchenhaftem Happy End hört sich das nicht an. Eher nach den Schrecken der Realität.

Deutlich voluminöser und spätromantischer lässt Currentzis dann die Ravel-Werke nach der Pause spielen. Wuchtig und rauschhaft der Danse générale aus der „Daphnis et Chloé“-Suite Nr. 2, eruptiv und explosiv Ravels „La Valse“ – inklusive reißerischer „Weißer Hai“-Assoziationen.