Lieder über Staatsbeamte und die Liebe: In der Bar jeder Vernunft präsentiert Tim Fischer sein neues Programm.
Opern polarisieren. Die einen lieben, die anderen hassen sie. Wie Georg Kreisler, der geniale, rabenschwarze Spötter. Er kann vor allem mit den Inhalten rein gar nichts anfangen. Weil die meist bar jeder Logik sind, hat er was Eigenes geschrieben: Den „Opernboogie“. Um die Kunst wenigstens etwas zu imitieren, rund drei Dutzend Strophen lang. Nur viel lustiger. Besonders dann, wenn der grandiose Kreisler-Interpret Tim Fischer den Song mit Finesse in eine groteske Kampfzone verwandelt, in der wirklich alles schiefläuft. Am Ende sind auf der Bühne alle tot. Warum auch immer. Aber das vollkommen ermattete Publikum kann noch mit letzter Kraft leise applaudieren. Und Kreisler resümiert: „Meine Oper wird allen gefallen. Denn meine Oper wird nirgends gespielt.“
Was für ein Auftakt zu einem maßgeschneiderten Abend. Chansonnier Tim Fischer feiert Uraufführung seines neuen Programms „Tigerfest“ in der Bar jeder Vernunft. Eine Hommage an den großen Georg Kreisler, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag begangen hätte. 1922 in Salzburg geboren, hat Kreisler mit seinen bissigen, teils verbotenen, teils skandalisierten Liedern Maßstäbe für das literarische Kabarett gesetzt. Mit Tim Fischer verband ihn seit dem Jahr 2000 bis zu seinem Tod 2011 eine äußerst kreative Künstlerfreundschaft. Daraus entstanden das Ein-Mann-Musical „Adam Schaf hat Angst“ und das Chanson-Solo „Gnadenlose Abrechnung“.
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Beim dritten, nunmehr posthumen Streich läuft Fischer zur absoluten Topform auf. Er räsoniert gegen „Staatsbeamte“. Besingt das Idyll „Ein Haus am grünen Bach“. Und gibt den Ehehasser, der seinen Kummer erst im Alkohol ertränkt und schließlich Selbstmord begeht. Was der Sänger mokant kommentiert: „Die Axt im Hause erspart die goldene Hochzeit“. Und wendet sich umgehend der Liebe zu. Denn auch darüber hat Georg Kreisler erstaunlich poetisch geschrieben. Vor allem aber entlarven die Lieder den Spießer als die wahre Geißel der Zivilisation.
Tim Fischer: Zungenbrecher als federleichte Verse
Tim Fischer erweckt dazu ein skurriles Typensammelsurium zum Leben. Dabei wird er fabelhaftest von einem Trio unter der musikalischen Leitung des Bassisten Oliver Potratz mit Pianist Sebastian Weiß sowie Hauke Renken an Schlagwerk und Vibraphon begleitet. Und wieder einmal beweist der Chanson-Kreateur, dass er eine Klasse für sich ist. Weit über der Champions League, irgendwo im Olymp. Er entfesselt mit seinem atemberaubend prononcierten Gesang, der selbst die kompliziertesten Zungenbrecher in federleichte Verse verwandelt, und seiner eloquenten Mimik ein tonales Feuerwerk, das vor bösen Pointen nur so strotzt. Eigentlich sind ja Rapper die schnellsten Vokalmusiker der Welt. Doch man wird das Gefühl nicht los, dass Eminem, NoClue und Co. gegen Tim Fischer einpacken können.
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Mit Kreislers Versen fordert der 49-Jährige, der seit sage und schreibe 33 Jahren auf der Bühne steht, ein ums andere Mal, sich unangepasster zu geben. Und taucht tatsächlich nach der Pause ebenso auf. Mit roter Langhaar-Perücke und einem enganliegenden, hochgeschlitzten roten Latexkleid. Passend zu den neonorangenen Fingernägeln. Tim Fischer hat sich quasi neu erfunden. So hat man ihn noch nie gesehen. Ein Outfit wie gemacht, um Kreislers „Tiger“ von der Leine zu lassen. Mit messerscharfen Krallen und nie um eine Boshaftigkeit verlegen.
Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Wilmersdorf, Tel.: 883 15 82, bis 16.10, Di.-Sbd. 20 Uhr, So. 19 Uhr