Jüdische Kulturtage

Wie man mit Humor seine Zuhörer verschreckt

| Lesedauer: 3 Minuten
Volker Blech
Autor Michael Wuliger (rechts) und Moderator Leonard Kaminiski bei den Jüdischen Kulturtagen im Centrum Judaicum.  

Autor Michael Wuliger (rechts) und Moderator Leonard Kaminiski bei den Jüdischen Kulturtagen im Centrum Judaicum.  

Foto: Antonia Spinola

Bei den Jüdischen Kulturtagen unterhält und provoziert der Berliner Kolumnist Michael Wuliger mit seinen Episoden aus dem Alltag.

Ein wunderbarer Erzähler ist Michael Wuliger. Er lässt es sich nicht nehmen, bei den Jüdischen Kulturtagen „Eine Einführung in literarische Lesungen“ zu geben. „Fragen Sie den Autor!“ ist seine Kolumne übertitelt, in der es darum geht, mit welchen Dingen Besucher den Autor in den anschließenden Fragerunden konfrontieren.

Typisch wäre die Frage, ob das Buch autobiografisch sei? Natürlich nicht, alles erfunden. Dann stellt sich die Frage, woher der Autor seine Ideen bezieht? Von Bekannten bei Partys und im Café, ist zu erfahren. Darüber hinaus sei immer einer im Publikum, der selbst bei der Vorstellung eines Kochbuchs aufsteht und erklärt: „Was ihr mit den Palästinensern macht, ist aber nicht in Ordnung!“

Es kommt wie es kommen muss. Als Wuliger am Mittwoch im Centrum Judaicum die Fragerunde eröffnet, meldet sich keiner. Obwohl manch einer sicherlich wissen will, woher der Autor seine Ideen nimmt und wie viel Autobiografisches darin steckt? Wuliger konstatiert, dass er wohl selbst das Publikum verschreckt habe. Glücklicherweise hat der veranstaltende Verein „WerteInitiative. Jüdische-deutsche Position“ zwei Fragen vorbereitet. Was auch komisch ist.

Jüdischer Humor ist antiautoritär, selbstkritisch und ein bisschen absurd

Deren Sprecher Leonard Kaminski hatte zu Beginn der Lesung bereits erklärt, worin der Unterschied zwischen Judenwitzen und jüdischem Witz besteht. Wuliger definiert den jüdischen Witz seinerseits als Humor von unten nach oben, antiautoritär, selbstkritisch und eine bisschen absurd. Judenwitze hingegen erheben sich über eine Minderheit und können schnell antisemitisch werden.

Die Texte, die Wuliger an diesem Abend liest, stammen aus seinem Buch „Koscher durch die Krisen“. Das erschien während der Pandemie und sollte ursprünglich „Koscher durch die Krise“ heißen. Wuliger fand, man sollte besser Krisen daraus machen, denn es werden weitere folgen. In den letzten Jahren, sagt der Autor irgendwann über seinen Humor, sei er etwas galliger geworden.

Michael Wuliger ist 1951 in London geboren worden, wuchs in Wiesbaden auf, studierte in Marburg und lebt in Berlin. Über Jahrzehnte hinweg war er Kulturchef der „Jüdischen Allgemeinen“. Seine Kolumnen waren kultig.

Blick auf das unbekannte Wesen in der Nachbarschaft

Bei der Lesung hält er zu Beginn ein Plakat mit dem Titelblatt von „Spiegel Geschichte: Jüdische Geschichte in Deutschland – Die unbekannte Welt nebenan“. Das Fremdartige in der Nachbarschaft ist illustriert mit zwei alten bärtigen Männern, die wie im Mittelalter gekleidet sind. „Mama, was sind das für komische Leute auf dem Foto?“, fragt die kleine Leonie am Kiosk. Die Mutter kommt in den Erklärungsnotstand, wie Juden in Deutschland heute aussehen. Die Kolumne ist sehr komisch und traurig zugleich.

Provozierender ist Wuligers Blick auf die Fahrradfahrer im Straßenverkehr, die er mit den Palästinensern vergleicht. Ihnen ist nur ein Streifen zugewiesen, obwohl sie glauben, ihnen gehöre eigentlich die ganze Straße. Ihre Wut lassen sie an den Fußgängern aus. Die Kampfradler sehen kein Fehlverhalten, alle sind Opfer. Schuld haben die Autos. Wütende Reaktionen gab es auf die Kolumne, erzählt Wuliger. Vermutlich von Fahrradfahrern.