Für ihre „scharfe Art“ ist sie ihr Leben lang schon gerügt worden, Deutschlands Ikone der Frauenbewegung, die Publizistin Alice Schwarzer. Im Dezember diesen Jahres wird sie 80 Jahre alt, aber wer die Medien verfolgt, wie es so schön heißt, wird das kaum glauben können angesichts der Aktivität, die Schwarzer auch heute noch in Debatten aller Art entfaltet.
Ob Kopftuch-Streit, Kölner Silvester-Nacht, Transsexualität oder Ukrainekrieg: Unumstritten sind ihre Standpunkte nie. Passenderweise beginnt die österreichische Regisseurin Sabine Derflinger ihr dokumentarisches Porträt mit einer Art Urszene des Schwarzer-Auftritts, der TV-Diskussion im Februar 1975, als der WDR die „männerhassende Emanze“ Schwarzer mit der „modisch-populären Manneshelferin“ Esther Vilar, Autorin des Buches „Der dressierte Mann“, zur Diskussion zusammenbrachte.
Alice Schwarzer und Esther Vilar in TV-Diskussion
Die Sendung – kurioserweise ausgestrahlt im „Hausfrauenfernsehen“ um 16.20 Uhr – bot damals wochenlang Gesprächsstoff für die ganze Republik. Heute traut man seinen Ohren kaum, wenn man die Argumente hört, die die beiden Frauen da austauschen.
Vilars Thesen lassen einen ungläubig die Augen reiben, aber Schwarzers polemische „Stürmer“-Vergleiche haben es auch in sich. Zurückhaltung gehört jedenfalls nicht zu ihren Tugenden; mehr noch, sie hat sie noch nie für eine Tugend gehalten.
Alice Schwarzer ist eine Entertainerin der Extraklasse
Archivaufnahmen alter TV-Auftritte von Schwarzer ziehen sich durch den ganzen Film, sie sind auf sagenhafte Weise unterhaltsam. Nicht nur, dass sie belegen, was für eine großartige Entertainerin Schwarzer war und ist, sondern weil sie auch zeigen, wogegen diese Frau tatsächlich noch ankämpfen musste.
Die Arroganz eines Henry Nannen, der die nackten Frauen auf den „Stern“-Titeln als sachliche Themenbebilderung ausgibt, oder die machohafte Lümmelei eines Klaus Löwitsch, der gar nicht versteht, warum er mit dieser Frau diskutieren sollte, womöglich noch mit Argumenten.
Alice Schwarzer ließ sich nie den Mund verbieten
Was Schwarzer für die Frauenbewegung in Deutschland erreicht hat, kann man nicht überschätzen. Ihre Furchtlosigkeit im Auftritt, dieser Mut, sich unbeliebt zu machen und darauf zu bestehen, auch das Unpopuläre laut auszusprechen, muss man bewundern. Heute noch gibt es nur wenig Frauen in der Öffentlichkeit, die so unverblümt auftreten, sich so wenig den Mund verbieten lassen – und dabei so wohltuend souverän Argument für Argument ins Spiel bringen, ohne je zu emotional zu werden.
Es ist deshalb auch gar nichts dagegen zu sagen, dass Derflinger das in ihrem Dokumentarfilm ausschließlich positiv würdigt. Es ist eben nur zugleich eine verpasste Chance: Um die wahre Größe von Schwarzer zu zeigen, hätte es dem Film gut gestanden, auch mal ihre Kritiker zu Wort kommen zu lassen.
Zu Alice Schwarzers umstrittenen Positionen schweigt der Film
Derflinger beschränkt sich auf die im Genre übliche Mischung aus Fans, Mitarbeiterinnen und Wegbegleiterinnen. Sie alle singen auf die ein oder andere Weise Schwarzers Loblied. Das wiederum wirkt im Lauf der Zeit eher langweilig. Gerade in den aktuelleren Debatten um Identitätspolitik wäre es so viel spannender, wenn der Film sich nicht nur damit begnügen würde, Schwarzer bei der Verteidigung ihrer Standpunkte zu zeigen, sondern ruhig mal länger auch die Gegenseite einzublenden.
Die Auseinandersetzung um die Transsexualität, in der Schwarzer Standpunkte vertritt, die auf viel Widerstand besonders auch unter Feministinnen stoßen, lässt Derflinger ganz weg. Eine Entscheidung, die angesichts der Vehemenz, mit der Schwarzer aktuell diesbezüglich auftritt, irritiert. Sie lässt den Film letztlich parteiischer erscheinen, als er sein müsste.