Musikfest Berlin

Lautstärke garantiert keine gute Musik

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Matthias Nöther
Berliner Philharmoniker unter Leitung von Thomas Adès.

Berliner Philharmoniker unter Leitung von Thomas Adès.

Foto: Stephan Rabold

Der britische Komponist Thomas Adès dirigiert bei den Berliner Philharmonikern auch eigene Werke.

Ein Beitrag der Berliner Philharmoniker zum diesjährigen Musikfest in der Philharmonie ist das Konzert unter Leitung von Thomas Adès, der sich hier auch mit eigenen Werken als Komponist präsentiert. Er ist vor allem Komponist und dem hiesigen Publikum bekannt, weil Ex-Chefdirigent Simon Rattle seinen britischen Landsmann mit seinen Werken kurz nach seinem Amtsantritt bei den Philharmonikern 2002 einführte.

Als Dirigent lässt Thomas Adès an diesem Abend viele Fragen offen. Zum Konzept des Musikfests gehört in diesem Jahr, weithin unbekannte Ouvertüren von Hector Berlioz an den Anfang der Konzerte zu stellen. Berlioz war in späteren Jahren für seine ausgefeilte, transparente und vielseitige Instrumentationskunst bekannt – in der sehr frühen Ouvertüre zur verschollenen Oper „Les Francs-juges“ allerdings kann er vor Kraft kaum gehen, lässt sein selbstgewähltes Riesenorchester mit großem Streicherapparat und überschwerem Blech nur so krachen. Wäre es da nicht Aufgabe des Dirigenten, auszudünnen, zu verschlanken, das Orchester zur Transparenz zu animieren?

Thomas Adés lässt die Lautstärke heftig anschwellen

Thomas Adès tut das Gegenteil. Er dirigiert wuchtig, mit kapellmeisterlicher Unmittelbarkeit, jedes Forte gestisch unterstützend – übrigens auch jedes Crescendo. Das sorgt dafür, dass jede dieser Phrasen zu schnell in der Lautstärke anschwillt und am Ende alles viel zu laut ist.

Ja, eigentlich alles – und das ist gerade bei der Präsentation so unbekannter Werke wie an diesem Abend der Aufnahmefähigkeit des Publikums nicht förderlich. Nun, in einem Orchesterstück wie dem „Chevaux-de-frise“ des irischen Komponisten Gerald Barry gibt es da nicht viel Spielraum. Diese zwanzig Musik lang durchlaufende Musik definiert sich selbst als roh, erinnert an die lauten, wuchtigen Passagen aus Strawinskys „Sacre de printemps“. Barry lässt viele Instrumente das jeweils Gleiche spielen – heraus kommt ein kultivierter Primitivismus, der inspirieren, aber auch ziemlich nerven kann. Die Philharmoniker verbohren sich in den Linien und sind auf weitere Interaktion mit Adès, was Lautstärke und Klangfarbe angeht, offenbar nicht sehr angewiesen.

Die Weltraum-Metapher passt zu dem Orchesterstück

Adès‘ eigene Stücke dieses Konzerts hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. Das Violinkonzert „Concentric Paths“ aus dem Jahr 2005 soll eines der meistgespielten Stücke der gegenwärtigen Orchestermusik sein. Tatsächlich bildet der Violinsolist Pekka Kuusisto eindrucksvoll ein Zentrum. Um sein flimmerndes Spiel kreisen die mal versprengten, mal konzentrierten Einwürfe des Orchesters. Die Weltraum-Metapher des Stücktitels ist nicht zufällig gewählt: Thomas Adès verfügt als Komponist über eine Begabung, die über Comichaftes, Filmmusikalisches weit hinausgeht.

Bezüglich der Originalität von Klang und Verlauf bleibt dann die Suite aus Thomas Adès‘ einziger Oper „Der Würgeengel“ nach dem Bunuel-Film hinter dem Violinkonzert zurück. Klaustrophobische Momente, Verzweiflung, Niedertracht sollen hier ausgedrückt sein – doch aus den Klangwogen des fast durchgängig in Gesamtheit spielenden, kaum differenziert geführten Orchesters könnte man auch vieles Andere heraushören, oder eben gar nichts. Das hätte mit einem punktgenauer führenden, dramaturgisch denkenden Dirigenten selbst bei diesem schwierigen Programm besser funktionieren können.