Intendant René Pollesch verliest eher beiläufig die Liste mit den Ensemblemitgliedern. Thomas Schmauser kehrt an die Münchner Kammerspiele zurück. Und die langjährige Castorf-Schauspielerin Sophie Rois gehört jetzt wieder fest zum Ensemble der Volksbühne. Das ist eine gute Nachricht, ebenso wie die Feststellung, dass in das über Jahre von Krisen geschüttelte Theater scheinbar Stabilität und damit Zuversicht einzieht. Es beginnt Polleschs zweite Spielzeit.
Die Wiener Choreographin und Performancekünstlerin Florentina Holzinger ist die Vorzeigefrau beim Pressegespräch am Freitag im Roten Salon. In der vergangenen Saison waren Holzingers Sex-, Gewalt- und Schmerzfantasien „A Divine Comedy“, in der nackte Performerinnen martialisch Holzstämme durchhauen und Probleme mit übergroßer Klobürste und Kettensäge gelöst werden, der Quotenbringer in einer schwierigen Pandemie-Saison. Jetzt probt Holzinger gerade „Ophelia’s Got Talent“, die Uraufführung soll auf der großen Bühne am 15. September stattfinden.
Für die Volksbühne scheint ihre „Age of Aquarius“-Produktion vor allem auch eine technische Herausforderung zu sein, denn die Bühne soll sich in Schwimmbad, Sumpf und Morast verwandeln. Dort tummeln sich die Erbinnen Ophelias. Die in der freien Szene groß gewordene Holzinger schwärmt von den technischen Möglichkeiten, die ihr die alte Volksbühne bietet.
Bei den Proben entstand ein kleiner Wasserschaden
Allerdings muss sie das Gespräch vorzeitig verlassen, auch, weil es einen kleinen Wasserschaden gegeben hat. Haften geblieben ist von ihr ein wunderbarer Satz rund um Ophelia und Undine: „Wir reden von dieser Zeit der Romantik, wo die Frau am schönsten ist, wenn sie tot im Wasser liegt.“ Florentina Holzinger wird wieder zeigen, was selbstbewusste Frauen wütend macht.
Mit Schriftstellerin Lydia Hayder präsentiert sich eine weitere Wienerin in der Runde. Es lässt sich nicht leugnen, dass unsere österreichischen Nachbarinnen vor allem das Morbide, Abgründige und Schwarzhumorige an den Rosa-Luxemburg-Platz bringen. Die Autorin verteilt zwei Büchlein von sich, darunter den Lyrikband „Wort des lebendigen Rottens“ mit 88 Gesängen. Die letzte Strophe lautet: „Und wenn du brav bist, darfst du am Ende des Tages auch sterben.“
Lydia Hayer hat den Text für „Hyäne Fischer – Das totale Musical“, das am 10. November seine Uraufführung erlebt, geschrieben. Worum geht es? Hyäne Fischer ist eine provokante Kunstfigur, angeblich ausgedacht von einigen Frauen aus dem Umkreis der feministischen Burschenschaft Hysteria. Mit dem Song „Im Rausch der Zeit“ bewarb sie sich um die Teilnahme am Eurovision Song Contest (ESC) in Israel.
Das Musical „Hyäne Fischer“ hat nichts mit Helene Fischer zu tun
In den sozialen Medien war man über die Lodentracht, das Alpenpanorama und die Eva-Braun-Anmutungen des Frauenkünstler-Kollektivs irritiert. Managerin Marlene Engel dementierte es seinerzeit. Jetzt ist sie für Konzept und Künstlerische Leitung des „totalen Musicals“ verantwortlich. Am Freitag sagt die österreichische Musikkuratorin viele komplizierte Sätze, die inhaltlich nichts Konkretes verraten wollten. Aber das Projekt klingt ideologisch vermint – zumindest in Berlin. Immerhin gehören Kathrin Angerer, Jessyca R. Hauser, Rosa Lembeck oder Silvia Rieger zum Ensemble. Mit Helene Fischer hat „Hyäne Fischer“ offenbar nichts zu tun.
Hausherr René Pollesch will – und dafür muss man ihm um drei Ecken folgen – seinem Amtsvorgänger Benno Besson zum 100. Geburtstag gratulieren. Der Schweizer Schauspieler, der 2006 in Berlin verstorben ist, war 1969 künstlerischer Oberleiter und fünf Jahre später Intendant der Volksbühne geworden. In seine Antrittszeit fiel eine Produktion, die damals grandios scheiterte und die jetzt René Pollesch irgendwie modernisiert zurückholen will. Die Uraufführung von „Horizonte“, so der Arbeitstitel, soll am 1. Dezember sein.
Ein DDR-Stück aus dem werkseigenen Arbeitertheater
Milan Peschel und Martin Wuttke werden mitspielen. Das Stück geht zurück auf das werkseigene Arbeitertheater im einstigen Petrolchemischen Kombinat Schwedt, wo aktuell rund um die PCK-Raffinerie wegen des versiegenden Russland-Gases die Luft brennt. Dramatiker Heiner Müller (1929-1995) hatte das DDR-Arbeiterstück von Gerhard Winterlich aus den 1960er-Jahren überarbeitet und mit Shakespeares „Sommernachtstraum“ versetzt. Pollesch plaudert gern über Heiner Müllers Missmut über das eigene Scheitern. Mal sehen, ob er den Spagat zwischen Utopie und Dystopie hinbekommt.
Martin Wuttke steht auch auf der Bühne, wenn im Februar 2023 mit „Monosau“ ein Text des als Enfant terrible geltenden Künstlers Jonathan Meese uraufgeführt wird. Bereits am 16. September werden im Rahmen des Kultursommers draußen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz „Der perfekte Tag“ von Pollesch und Fabian Hinrichs aufgeführt.