Philharmonie

Die Berliner Klassiksaison ist eröffnet

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Felix Stephan
Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker zum Saisonauftakt.

Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker zum Saisonauftakt.

Foto: Stephan Rabold

Chefdirigent Kirill Petrenko und seine Berliner Philharmoniker überwältigten zum Saisonbeginn mit Mahlers Siebter Sinfonie.

Gewaltiger Jubel am Ende, heftiger Applaus. Die Berliner Philharmoniker sind mit Gustav Mahlers Siebter Sinfonie in ihre neue Konzertsaison gestartet. Oder besser gesagt: Mit einer maximal mitreißenden, maximal heiteren Version der Siebten. Und das kommt einigermaßen überraschend. Denn bis heute gilt die Siebte als Mahlers unbeliebteste Sinfonie – der erste Satz kompliziert und normalerweise schwer zugänglich, das Finale banal und angeblich misslungen.

Außerdem muss sich Chefdirigent Kirill Petrenko nach einer schweren Fußverletzung mit nachfolgender Operation noch schonen. Dirigieren soll er auf ärztlichen Rat hin eigentlich nur im Sitzen. Was im Vorwege die Frage aufwirft: Ist auf diese Weise Mahlers Siebte überhaupt zu stemmen? Muss Petrenko etwa mit halber Macht in die Philharmoniker-Saison starten?

Bereits nach ein paar Mahler-Minuten dann die Erleichterung: Petrenko strahlt intensive Kraft und Kontrolle aus. Ab der himmlischen H-Dur-Fläche in der Durchführung des ersten Satzes springt er sogar auf, dirigiert mit vollem Körpereinsatz – und kehrt danach nur noch sporadisch auf seinen Sitz zurück.

Der Dirigent denkt die Mahler-Sinfonie vom Finale her

Auffällig nun, wie freundlich, hell und gradlinig der erste Satz klingt. Petrenko scheint Mahlers Siebte Sinfonie vom Finale her zu denken: Diese ungebrochene Heiterkeit dort, diese rustikale Virtuosität überträgt er einfach auch auf den ersten Satz. Dadurch geht zwar einiges an Tiefgründigkeit und Feinsinn verloren. Aber Petrenko und die Philharmoniker gewinnen dafür an anderer Stelle doppelt: Der erste Satz ist besser nachvollziehbar, wirkt geradezu einladend. Und er verweist bereits auf den finalen fünften Satz, der in seiner lärmigen Ausgelassenheit sonst häufig wie angeklebt wirkt.

Was man Petrenko freilich vorwerfen könnte: dass er Gustav Mahler hier quasi zu Richard Strauss macht. Ohne Brüche und ohne Selbstzweifel. Dafür prächtig gesund und in drängender Feierlaune. Passend dazu Petrenkos Kniff für die drei Mittelsätze: Das geisterhafte Scherzo verwandelt er in ein zirkusartiges Kabinettstück. Und die beiden „Nachtmusik“-Sätze scheint Petrenko eher als nachtaktive Musiken zu deuten. Als ein Weiterfeiern im behaglicheren, intimeren Rahmen.

Kirill Petrenko wird seinem verletzten Fuß mehr Ruhe gönnen

„Ach, wie gern wäre ich ein Partymensch!“, lässt Petrenko den Komponisten in seiner Siebten Sinfonie immer wieder ausrufen. Und leistet damit zugleich einen Beitrag zum aktuellen Saison-Schwerpunktthema „Identitäten“ der Philharmoniker: „Wer bin ich, wer will ich sein?“. Ein unerschöpfliches Thema, zu dem so ziemlich jede Musik und jeder Komponist passt. Ähnlich wie zum Thema „Sinn des Lebens“.

Doch wie auch immer: Die Mahler-Party wird weitergehen. Schon am Sonntagabend feiern Petrenko und die Philharmoniker in Salzburg, gefolgt von Luzern und London. Ein zweites Tournee-Programm hat aber kurzfristig der Brite Daniel Harding übernommen – damit Petrenko seinem verletzten Fuß mehr Ruhe gönnen kann.