Berlin. Zwei Jahre lang musste sich das sommerliche Festival Young Euro Classic im Konzerthaus am Gendarmenmarkt sehr einschränken. Nun ist es in alter Größe und neuer Vielfalt wieder da. Festivalleiterin Gabriele Minz spricht im Interview über reisende Orchester, neue Konzertformate und die Zukunft des Jugendorchestertreffens in krisenhaften Zeiten.
Was sind die Besonderheiten und Höhepunkte von Young Euro Classic in diesem Jahr?
Gabriele Minz: Das beginnt schon mit dem ersten Abend. Wir haben in diesem Jahr zwei Orchester aus Amerika, eines aus dem Norden, eines aus dem Süden. Die USA sind vertreten mit ihrem National Youth Orchestra, das in der Carnegie Hall beheimatet ist. Unter Leitung von Daniel Harding und mit der berühmten Cellistin Alisa Weilerstein in Elgars Cellokonzert ist das auf jeden Fall ein fulminanter Start. Vor einigen Jahren, 2018, hat sich das NYO Jazz bei uns vorgestellt, das gerade frisch gegründet worden war, 2019 kam das National Youth Orchestra USA. Jetzt haben sie die Gelegenheit ergriffen und sind im ersten Jahr gekommen, in welchem wir wieder relativ normal einladen konnten – ohne Beschränkungen durch Corona. Daneben haben wir zum ersten Mal das Jugendorchester von Uruguay dabei. Das kommt allerdings in einer kleineren Besetzung als ursprünglich vorgesehen. Schließlich sind die Flugpreise sehr gestiegen – Flugreisen sind nicht mehr so möglich wie vor der Pandemie.
Insgesamt erlebt man in der Klassikszene Diskussionen darüber, ob überhaupt noch geflogen werden soll. Ein Festival wie Ihres allerdings wäre ohne weite Reisen großer Musikergruppen gar nicht möglich – es ist ja der Kern von Young Euro Classic. Wie verhalten Sie sich zu dieser Diskussion?
Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten – muss aber natürlich überlegter an dieses Thema herangehen. Wenn ein Orchester von sehr weit her kommt, sollte man das noch länger im Voraus planen, damit das Orchester nicht nur wegen eines Konzerts in den Flieger steigt. Wir haben für die Orchester auch schon früher Konzerte an verschiedenen Orten organisiert. Wir sind ja gut genug vernetzt mit anderen Festivals, und unser Renommee bezüglich des Niveaus der Orchester ist auch nicht das schlechteste. Insofern können wir den Umweltgesichtspunkten da Rechnung tragen. Und wir müssen uns auch fragen, was passiert, wenn alle nur zu Hause vor heimischem Publikum spielen und wir keine Begegnungen mehr organisieren. Das würde dramatische Folgen für die gesamte Kulturszene haben. Die lebt vom Austausch, genauso wie gesellschaftliche Weiterentwicklung generell. Gerade für Musiker ist es eine Kompetenz, sich in anderen Kulturräumen zu beweisen. Aber wir beziehen Überlegungen zur Nachhaltigkeit trotzdem mit ein, indem wir bestimmte Einladungen zum Beispiel um ein Jahr verschieben.
Das Festival findet jetzt zum ersten Mal seit Corona wieder in gewohnter Größe statt. Wo sind vielleicht trotzdem noch Spuren der Pandemie zu beobachten?
Wir haben auch im vergangenen Corona-Sommer – teilweise und mit Einschränkungen – Orchesterkonzerte gehabt. Aber wir haben auch festgestellt, dass diese Situation neue, außergewöhnliche Zusammenarbeiten hervorbringt und innovative kleine Formate. In der Folge haben wir auch in diesem Jahr eine Residency unter Leitung von Hugo Ticciati initiiert, mit seinem O/Modernt-Orchester mit Mitspielenden aus ganz Europa. Schwedische Schüler sind zu Gast, Hugo Ticciati studiert mit ihnen und deutschen Schülern gemeinsam eine musikalische Reise um die Welt ein. Ihm kommt es dabei darauf an, auch wichtige Instrumente anderer Musikkulturen als der klassischen europäischen Kunstmusik mit einzubeziehen. Er nennt das Format „Nils Holgerssons musikalische Reise um die Welt“. Da wird es ein Kinderkonzert geben – um auch den Nachwuchs im Publikum zu erreichen. Das dreiteilige Projekt schließt ab mit einer Zusammenarbeit mit dem Jazzposaunisten Nils Landgren.
Überhaupt fällt auf, dass Sie in den letzten Jahren sehr viel Aufwand betreiben, das Format des Jugendorchester-Festivals zu erweitern – Synergien mit Jazz, mit Tanz, mit Education, mit Kammermusik gehören dazu. Weshalb eigentlich?
Die Kraftanstrengung jetzt hat natürlich damit zu tun, dass wir in den letzten Jahren nur wenige Musiker auf die Bühne bringen konnten – 2020 etwa gab es ja ein reines Kammermusik-Festival. Wir haben aber jetzt im Wesentlichen wieder große Orchesterkonzerte, das ist weiterhin der Kern. Denn diese Orchester gibt es ja weiterhin. Wir wollten aber etwas aus den pandemischen Zeiten mitnehmen, als viel experimentiert wurde.
Beobachten Sie in der internationalen Jugendorchester-Szene, dass sich die Förderung verändert?
Die Auswirkungen der Pandemie wird man da erst im nächsten und übernächsten Jahr richtig spüren, glaube ich. Jetzt wollen die Orchester unbedingt wieder in großer Besetzung auftreten und nehmen dafür enorme Anstrengungen auf sich – und die Fördermittel sind teilweise noch eine Reaktion auf die Pandemie und deshalb vorhanden. Den Auswirkungen der Pandemie in Verbindung mit Energiekrise und Krieg wird nicht zuletzt unser Festival in den nächsten Jahren Tribut zollen müssen – wenn wir etwa in Konkurrenz zu Autofahrenden treten, die an der Tankstelle gefördertes Benzin tanken wollen. Aber es kommen ja auch andere Teuerungen auf uns zu. Denken Sie an Papier, denken Sie an Mieten, denken Sie an Anzeigenplätze – Teuerungen, die so in unseren Budgets nicht eingepreist sind. Ohne zu unken, darf man wohl voraussagen, dass die Kultur den Gürtel deutlich enger geschnallt bekommt. Dagegen bäumt sich in diesem Jahr noch mal alles auf – gerade weil man es kommen sieht.