Hauptrolle Berlin

Pierre Sanoussi-Bliss zeigt noch mal „Zurück auf Los!“

| Lesedauer: 9 Minuten

Der Trailer zum Film: „Zurück auf Los!“

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Das Drehbuch schrieb er aus Frust, dann übernahm er auch noch die Regie. Nun ist „Zurück auf Los“ noch einmal im Zoo Palast zu sehen.

leich anfangs wird er fast überfahren. Von einem Leichenwagen. Das passt irgendwie. Denn gerade hat Sam (Pierre Sanoussi-Bliss) erfahren, dass er HIV-positiv ist. Das Einzige, was ihm von seinem Ex bleibt. Im Jahr 2000 ist das noch eine Todeserklärung. Bislang hat sich Sam immer behauptet. Als Schwuler. Als Schwarzer. Als Ossi. Aber die Diagnose trifft ihn ins Mark. Sein bester Freund Basti (Matthias Freihof) versucht ihn aufzumuntern. Und dann lernt Sam den schönen Rainer (Dieter Bach) kennen. Der ist Krankenpfleger und zieht zu ihm. Um zu helfen. Aber dann schlägt das Schicksal noch mal zu, Rainer verliert bei einem Unfall das Augenlicht. Nun muss Sam sich um Rainer kümmern. Und auch um Basti, der immer öfter zur Flasche greift.

„Zurück auf Los!“: Ein Film, der erst aus Frust, dann aber mit Lust entstand

Lauter Lebenskünstler am Rande des Nervenzusammenbruchs, die immer auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit sind, es immer wieder vermasseln und doch immer wieder neu versuchen. „Zurück auf Los!“, das Regiedebüt des Schauspielers Pierre Sanoussi-Bliss, handelt von schweren Themen. Von Liebe und Tod, AIDS und Freundschaft, Behinderung und Rassismus. Und doch wird das ohne Betroffenheitsgestus oder Larmoyanz erzählt, dafür mit Leichtigkeit, viel Schalk im Nacken und einer Prise Frechheit. „Das Leben ist keine Baustelle“, warb Sanoussi-Bliss in Anspielung auf einen anderen Berlin-Film, „sondern eine alte Sau“.

In der Filmreihe „Hauptrolle Berlin“, die die Berliner Morgenpost gemeinsam mit dem Zoo Palast an jedem ersten Dienstag des Monats veranstaltet, darf dieser Film nicht fehlen. Nicht nur, weil er ein genaues Zeitbild abbildet von der Bohème im Prenzlauer Berg zur Jahrtausendwende. Sondern auch, weil den Regiedebütant genau die Frage umtrieb, die auch in dieser Reihe immer wieder diskutiert wird: Wie viel Stadt muss ins Bild, damit ein Film ein Berlin-Film ist?

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Der Trailer zum Film: „Zurück auf Los!“

Kein Fernsehturm, keine Sehenswürdigkeit sollte zu sehen sein. Das hat Sanoussi-Bliss strikt untersagt. Gedreht wurde in der Stargarder Straße, um die Ecke von der Gethsemanekirche. Doch nicht mal die rückt groß ins Bild. Als Erstes ist der Himmel über Berlin zu sehen. Aber dann schwenkt die Kamera nach unten, auf die Straße. Wo dann schon die Hauptfigur vor dem Leichenwagen liegt. Auch später geht der Blick immer wieder nach unten, auch mal in den Hundehaufen, in den Sam tritt. „Pass auf, dass die Bilder nicht zu schön werden“, hat der Regisseur seinem Kameramann Thomas Plenert eingetrichtert. Der sollte auch den Dreck und den Geruch der Straße einfangen.

Die Bilder riechen noch nach Kohle, aber die Stadt ist vor allem zu hören: als Krach und Kakophonie. Berlin beschreibt sich über die Figuren, die sich hier durchs Leben schlagen: Sam als verkrachter Sänger, dessen Coverversionen alter DDR-Schlager keiner hören will, und Basti als Schauspieler, der doch nur Werbeauftritte als Tomate kriegt. Irgendwann beginnt Sam, ihre Geschichte auf Schreibmaschine zu tippen. Und fragt Basti, ob das wohl jemand lesen würde. „Wo lebst du denn?“, reagiert der brüsk: „Die Geschichte über ’n paar Schwule, AIDS, ’nem Neger? Das interessiert doch keinen Menschen.“

Nie gab es Hauptrollen - wegen der Hautfarbe

Der Film beweist das Gegenteil. Aber der Frust, der aus diesen Zeilen spricht, ist doch echt. Das hat Sanoussi-Bliss oft genug am eigenen Leib spüren müssen. Der Sohn eines guineischen Diplomaten und einer deutschen Lehrerin hat immer wieder erlebt, dass Hauptrollen nicht an ihn gingen. Heute würde man sich nicht mehr trauen zu sagen, dass das an der Hautfarbe liegt.

Damals gab man das noch zu. Auf die Frage seiner Agentin, ob er ihren Klienten nicht mal engagieren wolle, um sein persilweißes „Traumschiff“ etwas bunter zu machen, soll Wolfgang Rademann damals offen geblafft haben: „Was soll ich denn mit’ nem Mulatten?“ Damals hat man in der Branche noch darüber gelacht. Sanoussi-Bliss fand das eher zum Heulen.

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Ein einziges Mal hat er im deutschen Kino eine Hauptrolle bekommen, 1994 in „Keiner liebt mich“ von Doris Dörrie. Danach war das höchste der Gefühle der zweite Assistent in der ZDF-Krimiserie „Der Alte“ (eine Rolle, die er 18 Jahre lang, bis 2015 spielte). Keiner liebt mich – dieses Gefühl hatte Sanoussi-Bliss wirklich lange Zeit. Doch zum Ende des Jahrtausends wollte er das nicht länger hinnehmen. Und schrieb einfach selbst ein Drehbuch. Entwarf sich eine Hauptrolle. Und Freihof, auch im echten Leben der beste Freund, ebenfalls eine. Wie im Rausch schrieb er das in nur 14 Tagen nieder.

„Das interessiert doch keinen“: Wirklich wollte auch das Drehbuch erst mal niemand haben. Sanoussi-Bliss hatte gerade im Fernsehen einen Beitrag über neun neue Filmproduktionsfirmen gesehen, die das deutsche Kino aufmischen und um neue Themen bereichern wollten. Die schrieb er alle an. Doch er bekam keine einzige Antwort, nicht mal eine Absage.

Fast abgelehnt – weil die letzte Seite im Drehbuch fehlte

Er schickte sein Skript schließlich auch ans ZDF, immerhin drehte er ja für die. Ein dreiviertel Jahr später meldete sich die Redaktion vom „Kleinen Fernsehspiel“. Die hatte Interesse, aber auch Bedenken. Und fand den Film zu trist. Es brauchte eine Weile, bis sich herausstellte, warum. Die Redaktion hatte zwar das Drehbuch bekommen, aber ohne die letzte Seite. Und da nimmt der Film noch mal einen ganz überraschenden Verlauf.

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Das Missverständnis war schnell geklärt. Blieb noch die Frage der Regie. Der Autor konnte Doris Dörrie interessieren, die sonst nur eigene Drehbücher verfilmt. Doch dann starb überraschend ihr Mann, der Kameramann Helge Wendler, mit nur 48 Jahren. Und die TV-Redaktion versteht ihr „Kleines Fernsehspiel“ als Experimentierfeld für Regie-Nachwuchs und fand die Erfolgsregisseurin dafür zu etabliert.

Sanoussi-Bliss sollte sich stattdessen einen ganzen Karton voller Videokassetten von vielversprechenden Regienovizen durchgucken. Da dachte er sich: Warum dann nicht gleich auch noch Regie führen? Die Redaktion sagte nach kurzem Zögern zu.

Der Film zeigt einen Prenzlauer Berg, wie es ihn längst nicht mehr gibt

So ist „Zurück auf Los!“ Sanoussi-Bliss pur. Der Film entstand zwar als reine Selbstausbeutung – insgesamt hat er als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller gerade mal 199 Euro daran verdient. Aber umso angenehmer war der Dreh. Weil das ein echtes Freundschaftswerk war.

Auch sein Krimi-Kollege Michael Ande absolvierte einen Gastauftritt: als rassistischer Alkoholiker. Und Doris Dörrie ist nicht nur mental dabei, wenn Sam vor der Schreibmaschine eine markante weiße Dörrie-Brille trägt. Erstmals spielte sie auch selbst in einem Film mit: als Zahnärztin, die Sam auf den Zahn fühlt. Die Szene hat Sanoussi-Bliss extra für sie noch dazugeschrieben.

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Auch sonst würzte er seinen Film mit vielen kleinen Spitzen. So serviert Sam etwa Schokoküsse zum Frühstück. Ein klares Statement. Bis heute bedauert Sanoussi-Bliss, dass er nie für Schokoküsse werben durfte – die Selbstironie hätte er. Und einmal zappt sich sein Sam durchs Fernsehen, von Roberto Blanco auf Charles M. Huber, von Arabella Kiesbauer auf Cherno Jobatay, und kommentiert das sarkastisch: „Da wird einem ja schwarz vor Augen.“ Als ob das die Regel wäre.

„Einfach mal Hans im Glück sein“, singt Pierre Sanoussi-Bliss im Film. Für ihn hat sich das erfüllt. Sein Regiedebüt gelang ihm so gut, die Dialoge waren so pointiert, und die Schauspieler so auf dem Punkt, dass ihn die Berlinale noch im Rohschnitt für die Sektion Panorama auswählte. Woraufhin das ZDF beschloss, ihn auch für die Kinoauswertung „aufzublasen“. Auf der Berlinale erlebte er im Februar 2000 seine Uraufführung und wurde danach weltweit auf über 60 Festivals gezeigt, in San Francisco, Sydney, Südafrika.

Und noch heute hat der Film nichts von seiner Originalität verloren. Weil er eben keine Zugeständnisse machte. Und einen Prenzlauer Berg zeigt, als er noch nicht so angesagt, gentrifiziert und clean war. Ein einmaliges Zeit-Bild, das es nun noch einmal zu entdecken gibt.