Irgendwo schreit ein Baby und eine Taube flattert vorbei, während Iiro Rantalas hohe Pianoläufe federleicht durch die Luft schweben, untermalt vom donnernden Bass der tiefen Tastatur. Eine Ouvertüre zum Wegträumen. Der Ort eignet sich bestens dafür. Schließlich mutet der Walter-Benjamin-Platz an wie eine italienische Piazza mit mediterranem Charme.
Der Finne Rantala ist so etwas wie der Tausendsassa unter den Jazzpianisten. Aber egal, ob als Solist, im Trio oder mit Orchester, der große Melodiker verzaubert sein Publikum stets. Nun hat er mit einem grandiosen Abend die zweite Auflage der Kolonnaden Konzerte mit ihrer einzigartigen Open-Air-Atmosphäre zwischen den Leibniz-Kolonnaden eröffnet. Und zwar in bester Klangqualität mit der hochmoderner Immersive-Sound-Technologie. Wie gemacht für den Grenzgänger Rantala. Ein Meister des Crossovers, der Stile und Genres elegant mit dem Jazz vereint und zudem gern erfindungsreich experimentiert.
Wie mit dem Badehandtuch, dass er aus dem Hotel hat mitgehen lassen. Er wird es zurückbringen. Erst einmal eignet es sich jedoch hervorragend dazu, die Töne der Komposition „Freedom“ zu verfremden. Einmal quer über die Saiten des Flügels gelegt, hört man plötzlich einen Sound bar jeder Resonanz. Kurz und trocken, klingen die Noten gar nicht mehr nach Klavier. Anschließend präpariert der Jazzer mit einem Din-A-4-Blatt die hohen Oktaven. Und voilà, auf einmal gibt es einen irrwitzig hohen Verzerrungsgrad. Herauskommt ein Stück mit wuchtigem Rhythmus, schnellen Läufen und einem verspielten Motiv, das absolut mitreißend ist.
Melancholie, Esprit und Improvisation
Bekannt wurde der 52-Jährige mit seinem Trio Töykeät, was „Grobiane“ bedeutet. Und tatsächlich hat sich das Terzett im Jazzrock-Stil über Tangos und Walzer hergemacht. Dass Iiro Rantala auch anders kann, hat er letztes Jahr mit seiner Kinderoper „Die Zaubermelodika“ im Auftrag der Komischen Oper bewiesen. Da für ihn der Jazz nicht mit Louis Armstrong, sondern schon mit Johann Sebastian Bach beginnt, hat er keinerlei Berührungsängste, immer wieder Klassisches zu interpretieren. Wie das romantische „Intermezzo“ aus Pietro Mascagnis Oper „Cavalleria rusticana“, das er in seinen Nordic Sound transformiert. Dabei improvisiert er einmal mehr auf seine ureigene, bittersüße Weise.
Es ist denn auch die Mischung aus Melancholie, Esprit und berührend schön improvisierten Melodien, die das Konzert ausmacht. Allein am Flügel erweist sich Iiro Rantala dabei außerdem als bemerkenswertes Showtalent. Er scherzt ironisch über das prächtige finnische Wetter, erzählt von seinen höchst unterschiedlichen Söhnen Bruno und Topi, denen er zwei ebensolche Kompositionen widmet, und seiner Smartwatch namens Polarbär. Die animiert ihn, aktiv zu werden. Klar, dass Rantala den Flügel dafür wählt. Bei „Time for Rag“ verliert er nämlich ob der schnellen Spielart 200 Kalorien.
Wesentlich ruhiger kommt das Stück „Peace“ daher. Elegisch mit tänzerischen Momenten, spricht die Komposition momentan wohl jedem aus dem Herzen. „Außer ein paar Idioten in Moskau“, spöttelt Rantala. Aber die sind in diesem hoffnungsvollen musikalischen Augenblick ganz weit weg.