Jüdisches Theaterschiff

Erinnerung an den Tenor Joseph Schmidt

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Volker Blech
Zur Eröffnung wurde Armin Petras’ Stück über den aus Berlin geflohenen Tenor Joseph Schmidt gezeigt

Zur Eröffnung wurde Armin Petras’ Stück über den aus Berlin geflohenen Tenor Joseph Schmidt gezeigt

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Mit Armin Petras Performance „Der Sänger“ wurde das jüdische Theaterschiff in Spandau eröffnet.

Das Team um den Kulturmanager Peter Sauerbaum wirkte vor der Eröffnung am Montag ein wenig erschöpft. Neueinrichtungen von Theaterräumen sind immer mühsam, aber das jüdische Theaterschiff hatte in Berlin auch keinen leichten Start. Erst eine Woche zuvor war der in der Werft Bolle in Sachsen-Anhalt umgebaute Flussfrachter überführt worden. Dann begann ein unerwarteter Spießrutenlauf durch den Behördendschungel. Zeitweilig schien sogar die Eröffnung, die der Jurist Sauerbau bewusst auf den Tag des Grundgesetzes gelegt hatte, in Frage gestellt zu sein. Ein Mitglied des gemeinnützigen Betreibervereins Discover Jewish Europe erzählte beiläufig, dass sich auf der Havel Bundes-, Landes- und Bezirksrecht überschneiden. Beim Schritt an Land werde es nicht weniger kompliziert.

Das Kulturprojekt positioniert sich gegen Rassismus und Antisemitismus

Jetzt spielt das jüdische Theaterschiff, das sich als Projekt gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit versteht, mit befristeter Sonderregelung bis 31. Juli an seinem Spandauer Standort Dischingerbrücke. Dabei hatte das Theaterprojekt von Anbeginn viele Förderer und Unterstützer in der Politik, Wirtschaft und Kultur. Zur Eröffnung sprach Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Dabei saß das Publikum auf bequemen Stühlen, die Georg Quander, ehemals Staatsopern-Intendant, von seiner Kammeroper Schloss Rheinsberg ausgeliehen hatte. Die schiffseigene Bestuhlung wurde nicht rechtzeitig geliefert. Sauerbaum bedankte sich zu Beginn minutenlang bei Geldgebern und Unterstützern.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen, auch wenn es von Außen ganz untheatralisch wie ein überdachter Lastkahn aussieht. Die MS Goldberg ist 67 Meter lang und 8,20 Meter breit. Das Schiff (Baujahr 1964) stammt aus einer Werft in Boizenburg. Der Lastraum wurde in einen langgestreckten Saal umgebaut. Der knapp vier Meter hohe Innenraum ist verkleidet. Man kann kaum noch erahnen, dass man sich auf einem Schiff befindet. Es schaukelt nichts. Am Eingang befinden sich die Toiletten und linker Hand eine Art Bistro, das gerade noch ausgebaut wird. Überhaupt ist noch einiges zu tun, bis sich das heimelige Theatergefühl einstellt.

Das Veranstaltungsprogramm will sich am alten talmudischen Prinzip orientieren, wonach wichtige Themen mit verschiedenen Lesarten ausgedeutet werden. Kontrovers leidenschaftliche Diskussionen würde man heutzutage sagen. Darüber hinaus sollen jüdische Künstler im Mittelpunkt stehen. In der Eröffnungspremiere am Montag wurde Avi Schmidt begrüßt, der aus Israel angereist war. Die neue Produktion ist seinem Großonkel gewidmet, dessen Lied seinerzeit um die Welt ging: Tenor Joseph Schmidt. Der 1,54 Meter große Sänger hatte in Berlin studiert und war ein internationaler Star.

Am Vorabend der Bücherverbrennung durch die Nazis auf dem Opernplatz, am 9. Mai 1933, fand im Ufa-Palast am Zoo die Uraufführung seines Films „Ein Lied geht um die Welt“ statt. Im Film spielt und singt Schmidt den unbekannten Tenor Ricardo, der nie aufgibt, Sänger sein zu wollen. Die 3000 Premierenbesucher waren 1933 begeistert, darunter auch der fanatische Antisemit Joseph Goebbels, der den Künstler gar zum „Ehrenarier“ machen wollte. Joseph Schmidt floh bald aus Deutschland.

Armin Petras hat für seine Joseph-Schmidt-Performance auf den 2019 im Diogenes-Verlag erschienenen Roman „Der Sänger“ von Lukas Hartmann zurückgegriffen. Die biografische Geschichte zeichnet die letzten verzweifelten Schritte des Tenors nach.

Der Regisseur will die Gefühle des flüchtigen Künstlers deutlich machen

Der Regisseur lässt auf der Leinwand nur Stichworte wie Ort und Zeit einblenden. Den Text hat Petras stark reduziert. Seine vier Darsteller müssen ein Stegreifspiel der Gefühle wagen: Ein Künstlers befindet sich auf der Flucht. Erschöpft und vereinsamt landet Schmidt unter Tausenden an der Schweizer Grenze, hoffend, den letzten Zufluchtsort für Juden in Europa zu erreichen. Die Darsteller Leila Abdullah, Ferdinand Lehmann, Alexander Simon und Christian Freund springen virtuos durch die verschiedenen Rollen, ob nun Rabbi, Schleuser, Grenzer oder Arzt. Jeder muss seine musikalischen Fähigkeiten mit einbringen, denn Petras versteht „Der Sänger“ als eine szenisch-musikalische Performance. Es wird stark mit musikalischen Fetzen und Geräuschen gearbeitet. Dem in der Schweiz internierten Künstler verweigert ein Arzt eine Untersuchung, am 16. November 1942 stirbt Joseph Schmidt 38-jährig an Herzversagen. Das Sterbedatum wird nicht mehr eingeblendet, dafür aber ein alter Musikfilm-Ausschnitt. Er beschreibt den Verlust.