Premiere

Lilja Rupprechts „Steppenwolf“ am Deutschen Theater

| Lesedauer: 5 Minuten
Katrin Pauly
Katrin Wichmann, Jonas Sippel, Manuel Harder und Elias Arens (v.l.)

Katrin Wichmann, Jonas Sippel, Manuel Harder und Elias Arens (v.l.)

Foto: Arno Declair

Der Schriftsteller Thomas Melle hat Hermann Hesses Kultroman für die Bühne adaptiert. Was hat er uns heute noch zu sagen?

Goethe zwinkert. Riesengroß ist er mit Schlapphut auf die Außenwand der hausartigen Holzkonstruktion projiziert, die im Deutschen Theater auf der Drehbühne kreist. Harry Haller meint, die Eitelkeit, in der der Herr Goethe hier abgebildet sei, gehe zu weit. Aber dass Goethe ihm und uns hier so übermächtig und verschwörerisch zublinzelt, hat ja seinen Grund: Harry Haller ist in seiner inneren Zerrissenheit, der Verstricktheit in die Widersprüche der eigenen Existenz ein moderner Faust. Wobei „modern“ hier relativ ist, denn Hermann Hesse veröffentlichte seinen Roman „Der Steppenwolf“, dessen Hauptfigur Haller ist, im Jahr 1927, also vor 95 Jahren. Und verarbeitete, damals 50 Jahre alt, die eigene Lebenskrise, sein Leiden an der Zeit. Nicht umsonst trägt Harry Haller die Initialen des Autors.

Das Buch des späteren Nobelpreisträgers hat sich gut gehalten, erlebte in den späten 1960er- und in den 1970er-Jahren noch mal eine echte Hochphase, als es zum Kultbuch der protestierenden Jugend wurde. Nun aber war die Zeit offenbar reif für eine Neubearbeitung. Das Deutsche Theater beauftragte damit den Autor Thomas Melle. Der kennt sich literarisch mit Zerrissenheiten aus und auch persönlich, wie er in seinem beeindruckenden Buch „Die Welt im Rücken“ offenlegte, in dem er seine bipolare Erkrankung thematisierte. Am Wochenende brachte Regisseurin Lilja Rupprecht Melles Hesse-Adaption im Deutschen Theater zur Uraufführung.

Zunächst beginnt alles ganz hessemäßig: Da ist also dieser etwa 50-jährige Harry Haller, in dessen Brust, ach, nicht nur zwei Seelen wohnen, sondern noch ein paar mehr. Weshalb Regisseurin Rupprecht die Figur auch auf alle Darstellerinnen und Darsteller verteilt, mal sprechen sie einzeln und abwechselnd, mal gemeinsam und chorisch. Insgesamt sind sieben Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne (plus der Musiker Philipp Rohmer), fünf gehören zum Ensemble des Deutschen Theaters, außerdem sind mit Juliana Götze und Jonas Sippel zwei Mitglieder des inklusiven RambaZamba Theaters als Gäste mit dabei, die einen schönen, eigenen Ton in den Abend bringen, der sowohl von Humor als auch von einer besonderen Bestimmtheit geprägt ist, die keinen Widerspruch duldet, wenn etwa Jonas Sippel einmal sagt: „Angst gehört abgeschafft!“.

Verdrängte Facetten einer Persönlichkeit

Harry Haller, der sich selbst einen „einsamen Hasser der kleinbürgerlichen Welt“ nennt und seine „Normalo-Tage“ leidlich, aber lau findet, ist ein Intellektueller, der mit dem Wölfischen in sich ringt, dem Triebhaften, dem Teil, der Ausschweifung will und den Exzess. Und den sein bildungsbürgerlicher Überdruss in Selbstmordgedanken treibt. Während er durch die Stadt zieht, trifft er auf Hermine, die ihm das Tanzen beibringt, auf Maria, mit der er rauschenden Sex hat und auf Pablo, den Impressario des Magischen Theaters, für das die Devise „Eintritt nur für Verrückte“ gilt und in dem er jene Facetten seiner Persönlichkeit kennenlernen wird, die er bislang verdrängt oder verleugnet hatte.

So geht die Geschichte bei Hesse und auch bei Thomas Melle und Lilja Rupprecht. Angereichert durch allerlei popkulturelle Anspielungen, die ebenso deutlich in die modernisierte Erzählung zwinkern wie Goethe es in die ursprüngliche tat. Erinnerte Ausschweifungen etwa sind in Techno-Nächten angesiedelt, in denen Cosmic Baby gespielt wurde, „Loops Of Infinity“, die Album-Version. Das sind bisweilen sehr schöne Jetztzeitigkeiten, die als Modernisierung textlich funktionieren, gleichwohl lösen sie nur punktuell ein, was Melle im Programmheft wie folgt formuliert: „Depression, Kulturpessimismus und die Sehnsucht nach einem anderen Zustand durchziehen die Diskurse und Lebenszusammenhänge sowohl im Steppenwolf als auch, so scheint uns, in unserer heutigen Zeit.“

Es wird so wild, dass Zuschauer den Saal verlassen

Rein optisch ist das Ganze wirklich opulent ausgestaltet, was auch an Christina Schmitts kreiselnder Holzkonstruktion liegt, die Wohnraum, Straßenecke, Späti und Häuserfront zugleich ist und viel Platz für großformatige Videoprojektionen bietet. In diesem Setting spitzt sich die Geschichte, ihre Modernisierung und auch die Sprache im Laufe der Inszenierung immer mehr zu. Und gipfelt am Ende schließlich in einer zwar ausschließlich verbalen, aber doch ziemlich drastischen drogenberauschten Splatter-Movie-Szene, die so etwas wie Hallers persönliche Walpurgisnacht darstellt. Gleich mehrere Zuschauer verlassen hier den Saal. Die vielen, die blieben, spendierten am Ende des Premierenabends nach zweieinhalb mal komischen, mal traurigen und bisweilen ganz schön fordernden zweieinhalb Stunden üppigen Applaus.

Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, Kartentelefon 28 441 225. Nächste Termine: 15.05., 18.05., 19.06.