Volksbühne

Fröhlicher Karneval mit Hitler-Rap

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Volker Blech
„Smak!“ an der Volksbühne.

„Smak!“ an der Volksbühne.

Foto: Lilli Nass

„Smak!“ gibt sich redlich Mühe, ein Skandalstück zu sein. Das junge Publikum in der Volksbühne bejubelte die Uraufführung.

Die „Smak!“-Produktion in der Volksbühne sollte man unbedingt einmal gesehen haben. Wer zweimal hingeht, muss verrückt sein. In den zweidreiviertel Stunden Theaterspektakel wird auf der Bühne alles zusammengemischt, von dem man glaubt, dass es sich niemals zusammen fügen wird. „Smak!“ ist eine Art Rockoper mit Stummfilmeinblendungen, ein Riesen-Comic, Spoken Word Poetry mit Nonsens und fragwürdigen Weltbetrachtungen, ein folkloristisches Ringelreihen und vor allem Dauerparty. Die Bühne von Leeroy New ist kunterbunt, ein Hingucker. Denn das wilde Treiben findet rund um einen mehrstöckigen Schlangenkopf mit Riesenmaul herum statt. Schlangenhaufen könnten aber auch Scheißhaufen sein. Der Abend ist von einer dystopisch-fäkalen Weltsicht geprägt. „Schreiße, Schreiße“ ist der Hauptsong des Stücks.

Der Song „Schreiße“ erinnert an einen alten Theaterskandal

Der Begriff „Schreiße“ geht zurück auf einen berühmten französischen Theaterskandal. Alfred Jarrys „König Ubu“-Premiere musste 1896 mehrfach wegen Publikumstumulten unterbrochen werden, weil Ubu auf der Bühne „Merdre“ (eine Verballhornung von Merde) sagte. In deutschen Kulturübersetzungen geistern seither die Begriffe Schreiße, Schleiße oder Scheitze umher. In der Volksbühne findet jetzt eine ganz eigene Einführung in den Figuren-Kosmos des französischen Symbolisten statt. Im Zentrum steht Sisa Jarry, die eine Hummer-Fahrradwerkstatt betreibt. Das ist offenbar das archaisch erprobte Fortbewegungsmittel im 38. Jahrhundert. Vorher war sie berüchtigte Attentäterin von König Ubulbulul (Daniel Zillmann). Für ihn soll sie ganze Galaxien zerstört haben.

Sisa Jarry ist wieder unterwegs. „Smak!“ will ein Rachestück á la Medea oder vielmehr wie „Kill Bill“ – jetzt mit Lilith Stangenberg als schwertschwingende Braut – sein. Sisa ist eine halluzinierende Verrückte, denn ihre Kinder sind verschwunden. In José Rizals Debütroman „Noli me Tangere“ waren die Kinder des Diebstahls beschuldigt worden. Als ob das Bühnenchaos nicht schon groß genug wäre, will der philippinische Allroundkünstler Khavn, von dem das Konzept stammt, der die Musik komponierte und die Regie führte, noch an den philippinischen Nationalhelden José Rizal erinnern. Der Arzt und Schriftsteller war 1896 von der spanischen Kolonialmacht hingerichtet worden. Beide Ereignisse, die Skandal-Uraufführung und die Hinrichtung, fanden im selben Jahr statt. Khavn rührt alles zusammen. Und noch einiges mehr. Schriftsteller Jarry erstand 1896 ein modernes Fahrrad vom Typ „Clément luxe 96“.

So viel religiöse Symbolik ist im Theater ungewohnt

Das Stück mit dem Untertitel „SuperMacho AntiKristo“ gibt sich redlich Mühe, ein Skandalstück zu sein. Es ist eine bemerkenswerte Erfahrung, dass das jüngere Volksbühnen-Publikum dem vielfältigen Angebot an Provokationen gelassen entgegen sieht. Alles Theater. Auch wenn „Smak!“ nicht wirklich feministisch ist. Das Stück will sexistisch sein. Verschiedene Stellungen werden ausprobiert. Sisa beißt General Faustrollol (Mick Morris Mehnert), dem Vater ihrer Kinder, schließlich den Penis ab. Während er minutenlang im Todeskampf zuckt, setzen bei ihr angeblich die Wehen ein. Sie bekommt schlicht einen Orgasmus. Die Figur des Faustrollol geht auf Jarrys „Heldentaten und Ansichten des Dr. Faustroll, Pataphysiker“ zurück. Der fromme Uncle Jesus Ex Machina (Maximilian Brauer), der irgendetwas raucht, was offenbar keine Zigarette ist, hat postpädophile Neigungen. Religionskritik in Form von Happening-artigen Kreuzigungen, Sisas engelhaftem Umhergeflattere und Auferstehungen findet allenthalben statt. So viel religiöse Symbolik ist man in Berlins Theatern schon gar nicht mehr gewohnt.

Gleich mehrere postkoloniale Tabus werden gebrochen

Der angekündigte Tanz der spanischen Soldaten mit den philippinischen Bauernmädchen läuft überraschend fröhlich ab. Die Bühne wird auch von „Märchenzwergen“ bevölkert. Die Aufführung ist maßgeblich von der Leidenschaft versprühenden kleinwüchsigen Darstellerschar geprägt. Sie sehen sich am Ende der Premiere bejubelt. Es ist schwer zu sagen, welche postkolonialen Tabus an diesem Abend gebrochen werden. Es müssen aber gleich mehrere sein. Zwischendurch kommt der Schweine-Song. „Wir Schweine sind die überlegene Rasse“, ist zu hören.

Beim Thema Rassismus tritt der Wesir Cock-Cock (Sascha Schicht) an die Rampe. Die kleine Hitler-Figur soll entstanden sein, erfährt man aus dem Programmheft, als der Diktator die andere Seite seines Toilettenpapiers benutzte. Sascha Schicht präsentiert eine urkomische Hitler-Rap-Debatte. Am Ende fällt dem Darsteller das hochgehaltene Mikro herunter, für den Bruchteil einer Sekunde erkennt man den Hitler-Gruß. Irgendwann befürchtet man, Regisseur Khavn würde auch noch den Ukraine-Krieg auf die Bühne bringen. Das tut er nicht. Aber in der Textcollage soll auch etwas aus einer Rede von Putin stecken.

„Smak!“ knüpft an die irrationale Figurenführung von Alfred Jarry an. Alle Darsteller sind wandlungs- und lernunfähig – und ein bisschen Dada. Auf der Bühne spielt und singt das achtköpfige Smakestra die 25 Songs. Musikalisch ist der Abend vor allem eines: energetisch. Zeitweilig fühlt man sich an den Karneval von Rio erinnert. Am Ende wird die Bühne dunkel. „Wir wissen nichts. Wir sind alle hungrig“, lautet der Schlusssatz. Das Publikum tobt vor Begeisterung.

Immerhin weiß man, dass die „Smak!“-Produktion von der Kulturstiftung des Bundes und von der Kulturstaatsministerin gefördert wurde. Das überrascht schon ein wenig. Wetten, dass die Verantwortlichen das Stück vorher nicht gesehen haben?