Das Klagelied eines Verzweifelten: Jossi Wiehler inszeniert den Monolog eines gealterten Mannes

Es ist ein Abend der Spiegelungen und Umkehrungen, der Reflexionen im doppelten Sinn des Wortes. Das maskierte Publikum in den Bühnenbereich der Kammerspiele gewiesen. Hinter dem giftgrünen Vorhang verbergen sich die Sitzreihen, auf denen man sonst Platz nimmt. Das Gestühl ist die Bühne für die drei Figuren, die durch diesen nur wenig mehr als eine Stunde kurzen Abend führen: Für den „Mann“ (Bernd Moss), den wir zunächst im roten Anzug in einer der mittleren Sitzreihen sehen, später dann auch für die „Frau“ (Maren Eggert) und den „Jungen Mann“ (Max Simonischek). Die Stühle der Zuschauerinnen und Zuschauer wiederum befinden sich auf einer Drehbühne und blicken, langsam um 180 Grad gedreht, auf eine grüne Kletterwand. Doch der Reihe nach.

Der norwegische Schriftsteller Jon Fosse hatte sich seit seinem „Tod in Theben“ 2010 von dramatischen Genre zurückgezogen, nun kehrt er mit „Starker Wind“ zurück, wofür sich das Deutsche Theater die Aufführungsrechte gesichert hat. Es ist ein szenisches Gedicht in der wiederholungsreichen, minimalistischen Sprache Fosses (Übersetzung: Hinrich Schmidt-Henkel). Und eigentlich spricht hier nur eine Person, nämlich der ältere der beiden Männer. Er stehe am Fenster, sagt er, und er wisse nicht genau, ob es das gleiche Fenster sei wie immer schon oder ein anderes Fenster. Er hadert mit der Zeit und ihrem Vergehen, er drückt seinen Widerwillen aus über die Wörter „Augenblick“ und „Hier“, er steigert sich in das Klagelied eines Verzweifelten. Langsam und in vielen rhetorischen Schleifen wird klar, worin sein Problem besteht: Er ist lange fortgewesen und zurückgekehrt zu der Frau, mit der er einmal zusammengelebt hat – doch diese lebt nun mit einem anderen, jüngeren Mann und hat das gemeinsame Kind mitgenommen. Mit guten Gründen, wie sich herausstellt, denn der von viel Küchenphilosophie verbrämte Egozentrismus der Hauptfigur wird schnell klar. Wie auch die Frau und ihr neuer Lebensgefährte in ihrer Liebesgymnastik an der Kletterwand zeigen, dass sich hier zwei Menschen gefunden haben und es dabei belassen wollen.

Das Raunen kommt aus allen Richtungen

Dabei schwebt die Stimme von Bernd Moss, der sich nunmehr im Rücken des Publikums befindet, elektronisch verstärkt quasi gottgleich im Raum. Sein „Mann“ will es nicht wahrhaben, dass er etwas falsch gemacht, dass er eine Chance verpasst haben könnte, dass seine Besitzansprüche lächerlich sind. In ihren besten Momenten gelingt Jossi Wiehlers Inszenierung hier die Balance zwischen dem Abschiedsgesang auf ein patriarchales Zeitalter und der Ironisierung desselben. Gönnerhaft bietet der Jüngere dem Älteren an, man könne doch auch einfach abwechselnd mit der Frau schlafen. Es sind die Männer, die in diesem Stück noch viel zu lernen haben, und schließlich wird man folgerichtig einen von beiden daran scheitern sehen, hoch oben über der Bühne.

Am Ende steht das neue Paar vor grüner Wand und reibt sich lustvoll mit grüner Farbe ein, bis es fast eins wird mit dem Hintergrund – heimelige Symbiose und Verwischung von Unterschieden zugleich. Wird das gut gehen? Es ist ein intensiver Abend voller Konzentration auf die Textvorlage, von der man sich vielleicht mehr Stringenz gewünscht hätte.

Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, Mitte. Termine: 15. November, 21. November, 4. Dezember. Informationen unter deutschestheater.de.