Am Vorabend des 11. September, des zwanzigsten Jahrestags der World-Trade-Center-Anschläge, erklingt beim Musikfest Berlin in der Philharmonie das War Requiem von Benjamin Britten. Orchester und Chor der Deutschen Oper Berlin unter Donald Runnicles haben sich dafür entschieden, eine allgemeine Mahnung an die Stelle einer expliziten Erinnerung an den schrecklichen Terroranschlag in New York mit fast 3.000 Toten zu setzen: Immerhin wurde nach dem Anschlag ein Nato-Einsatz in Afghanistan mit noch ungleich mehr Toten forciert. Und da gerade aktuell dessen Sinnhaftigkeit hochumstritten ist, ist Brittens musikalische Auseinandersetzung mit dem „Sinn“ von Kriegen hier von der Deutschen Oper wohlgesetzt.
Schmerzhaft, ehrlich und ohne rituell vorgestanztes Ergebnis nähert sich Britten im War Requiem der Frage, ob der Tod noch einen Sinn im Geiste der katholischen Totenmesse Requiem besitzt, wenn dieser Tod als Folge der optimierten Kriegsindustrie erfolgt. Britten hat da die deutschen Bombardements auf britische Städte im Zweiten Weltkrieg vor Augen. Wenn der Tod unerwartet und unverhinderbar eine afghanische Hochzeitsgesellschaft aus der Luft trifft, dann sieht man, wie wenig sich der Kriegstod seitdem verändert hat: Er ist maschinell, anonym, nüchtern ausgeführt, massenhaft und zuweilen sogar absichtslos.
Kühl, schwerfällig und richtungslos: das passt
Britten stellt in seinem War Requiem die alte Messliturgie den verzweifelten Versen des englischen Kriegsdichters Wilfred Owens gegenüber. Namentlich das erste „Requiem aeternam“ mit seinem ewig gleichen Kurz-Lang der Streicher dirigiert Donald Runnicles so kühl, schwerfällig und richtungslos, wie man es für diese Botschaft braucht: Die Schwere des Irdischen hört nach dem Tod nicht auf, die Zweifel am Sinn des Todes bleiben.
Die Deutsche Oper hat exquisite Solisten versammelt: Mit dem unbeirrbaren Timbre eines lyrischen italienischen Tenors führt Matthew Newlin gleich zu Beginn den bizarren äußeren Gegensatz zwischen tröstendem Orgelklang und dem soldatischen Verrecken in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs aus, gemäß der Verse des britischen Dichters Wilfred Owen, der wenige Wochen vor Ende dieses Kriegs 1918 noch getötet wurde. Sopranistin Flurina Stucki überstrahlt im Lacrimosa mit schönem wie ekstatischem Schmelz das Orchester – sie steht als einzige hinter dem Klangkörper. Bariton Markus Brück nimmt als Leidensmann den Gegensatz alter Todesrituale und modernen Tötens in seine operngeschulte Darstellung auf.
Star des Abends ist der Chor der Deutschen Oper, der durch den noch nicht lange bestehenden Kinderchor ergänzt wird (Einstudierung: Jeremy Bines und Christan Lindhorst): Gerade im abschließenden Libera me, das durch die Chorstimmen wandert, kann man klangliche Homogenität und Sinn für langsame Steigerungen erfahren, wie sie für einen Opernchor nicht selbstverständlich sind.