Als Prinz hat Leonce die Aufgabe, rein gar nichts zu tun. Davon ist er dermaßen gelangweilt, dass er sich am liebsten umbringen würde. Wenn er nicht gerade darüber nachdenkt, ist er ein selbstverliebter, geistreicher Melancholiker mit sadistischen Zügen. Kurz gesagt: Er wäre der Jackpot für jeden Psychiater. Leonce will zwar auf keinen Fall so werden wie sein diktatorischer Vater. Doch auch er findet längst Vergnügen daran, verängstigte Untertanen zu quälen. Oder mal eben seine Mätresse zu entsorgen, weil er eine sterbende Liebe spannender findet als eine werdende. Als sein Vater ihn mit Prinzessin Lena verheiraten und zum König machen will, flieht Leonce mit seinem Diener Valerio. Ehe und Amt könnten ja in Stress ausarten.
Als der Cotta-Verlag 1836 einen Preis für das „beste ein- oder zweiaktige Lustspiel“ ausschrieb, verfasste Georg Büchner seinen Dreiakter „Leonce und Lena“. Verspätet eingereicht, erhielt er sein Manuskript ungeöffnet zurück. Die Uraufführung folgte erst fast ein halbes Jahrhundert später 1885. Was zeigt, wie zeitlos Büchners Stück ist. Bei näherer Betrachtung ist es allerdings kein Lustspiel. Es ist vielmehr eine ätzende Kritik. Nicht nur an Büchners Zeit, dem Vormärz mit seinen feudalen Strukturen, sondern auch an überkommenen Machtverhältnissen. Dass das Drama vor aktuellen Bezügen nur so strotzt, davon konnte man sich jetzt bei der Premiere in der Vaganten Bühne überzeugen.
Der König ist ein bauchkratzender Loser
Kathrin Mayr hat Büchner mit einem sicheren Gespür für Situationskomik inszeniert. Und überrascht mit so lustigen wie hintersinnigen Twists. Leonces Herr Papa, König Peter vom Reich Popo, das gerade mal bis zum nächsten Gartenzaun reicht, wird hier von Anne Hoffmann gespielt. Im gestreiften Morgenmantel, mit Leoprint-Shorts, Socken und Pantoffeln gibt sie den bauchkratzenden Loser. Ein Typ, der eigentlich auf dem Sofa rumhängt. Sich aber aufschwingt, ein ganzes Volk zu knechten. Das Abziehbild eines unfähigen Monarchen. Hohl in der Birne, aber mit ungeheuerer Macht ausgestattet. Ein Schelm, wer dabei an Politiker denkt.
Karikaturen sind auch alle anderen Figuren. Lena (Marie-Thérèse Fontheim) etwa, ist ebenso schwermütig umflort wie Leonce (Alexander Jaschik). Klar, dass die beiden sich finden. Weil sie aber partout keinem elterlichen Befehl folgen wollen, denkt sich Valerio (Gregor Knop) eine bekloppte Finte aus. Letztlich spielt er damit aber nur König Peter in die Hände. Und obwohl es Leonce besser weiß, wird er seinem Vater in die diktatorischen Fußstapfen folgen. Die Mechanismen der Macht sind eben stärker als der Wille des Individuums.
Nicht nur damit kommt Büchners Persiflage der Wirklichkeit erschreckend nahe. Denn auch die Hochwohlgeborenen beweisen, dass sie im 21. Jahrhundert nichts dazu gelernt haben. Wie der thailändische Partykönig. Oder der schmollende Prinz Harry und seine Gattin Meghan. Verwöhnter Adel ohne die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Büchner war und ist also beste Realsatire.
Vaganten Bühne, Kantstr. 12a, Charlottenburg, Tel. 313 12 07, 3.7. um 20 Uhr.