JVA Tegel

Beethoven-Oper Fidelio hinter Gittern in der JVA Tegel

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Matthias Nöther
Viele der Insassen haben jahrelange Theatererfahrung: Szene aus dem Fidelio in der JVA Tegel.

Viele der Insassen haben jahrelange Theatererfahrung: Szene aus dem Fidelio in der JVA Tegel.

Foto: Thomas Aurin

Das Gefängnistheater und die Berliner Philharmoniker kooperieren in der Justizvollzugsanstalt Tegel.

Es ist nicht schwierig, sich das Gefängnis aus Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“ genau so vorzustellen wie den alten Trakt der Justizvollzugsanstalt Tegel. Hier lässt das Gefängnistheater aufBruch in den kommenden Wochen gemeinsam mit der Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker seine Version von Beethovens berühmter Freiheitsoper spielen. Der Schlagzeuger des Orchesters Simon Rössler hat das Projekt musikalisch konzipiert, die schwierige Partitur ausgedünnt, mit einigen anderen Kammermusik- und Klavierwerken des Komponisten durchsetzt und das Ganze gemeinsam mit dem Regisseur Peter Atanassow für die Gefangenen angepasst.

„O welche Lust, den Atem frei zu heben. Nur hier ist Leben“ singt Beethovens Gefangenenchor, als Kerkermeister Rocco ihn für ein paar Minuten aus den Zellen lässt. Wer diese Musik bisher als gut rutschendes Hochkulturhäppchen konsumierte, dem bleibt sie im Hals stecken, wenn die Ensemblemitglieder des Gefängnistheaters sie singen. Die werden nach ihrem Auftritt den Abend nicht in der Theaterkantine ausklingen lassen, die JVA ist kein Opernhaus. Kultur im Gefängnis lockert den strengen, für gewöhnlich bleischweren Alltag für die Insassen, doch sie löst ihn nicht auf.

Die Zellen liegen auf den Gängen mehrerer offener Etagen, über Geländer schaut man in die Tiefe. Bis 2013 saßen auch in diesem Trakt aus der Kaiserzeit noch Berliner Gefangene ein, dann verstießen die winzigen Zellen gegen neue gesetzliche Vorschriften.

Seitdem wird in zwei über Eck liegenden Trakten Theater gespielt, das Publikum wandert in „Fidelio“ über nackten Betonboden zwischen drei provisorisch aufgestellten Zuschauertribünen hin und her. An den Lüftungsrohren stehen noch die Sprüche einstiger Insassen. Es riecht nicht gut. Das Theater belebt den düsteren Ort, aber es macht ihn nicht weniger unwirtlich. Eine neue Theaterproduktion gibt es einmal pro Jahr. Manche der rund zwanzig Männer im Alter zwischen schätzungsweise 25 und 70 Jahren wirken hier schon an der elften oder fünfzehnten Inszenierung mit.

Zwölf Wochen haben die Mitwirkenden geprobt

Diesmal also Musiktheater – und da liegt der entscheidende Aspekt der Unvergesslichkeit. Zwölf Wochen lang hat die Gesangspädagogin Judith Kamphues für die Berliner Philharmoniker mit dem Ensemble gearbeitet. Als Gefangenenchor treten sie auf, als Sprechchor auch in einem eingeschobenen Stück des Dramatikers Peter Weiss – aber auch solistisch. Die Hintergründe und die musikalische Vorbildung sind denkbar verschieden. Peter, ein Endvierziger mit kultiviertem Schweizer Dialekt, singt tatsächlich mit schlagkräftigem Bariton die gesamte Rachearie des Pizarro in originaler Tonlage, das kleine Orchester der Akademisten begleitet ihn von der Etage über seinem Kopf aus. Der Stolz über das Ereichte ist ihm anzumerken, in seiner Zelle liegt eine CD-Aufnahme des Stückes mit dem legendären Bariton Walter Berry.

Viele Andere im Ensemble werden wohl von der Geschichte der „Retterin des Gatten“, die sich als Mann verkleidet im Gefängnis einschleicht, vor dieser Arbeitsphase noch nie gehört haben. Dazu gehört ganz sicher jener Mann, der sich in bester Rapper-Manier „Resul Tat“ nennt und uns auch einige Kilometer weiter in einem arabischen Supermarkt im Wedding begegnen könnte. Tatsächlich deklamiert er auf die berühmten Klänge von Beethovens Fünfter Sinfonie einen waschechten zornigen Gefängnis-Rap. Aber Resul Tat singt auch eine Arie von Beethovens Gefängnis-Schließmeister Rocco, eine klassische Buffo-Basspartie. Da wird das jahrelange Theatertraining der Insassen spürbar. Es ist trotz der schwierigen Operntöne nichts künstlich angelernt oder aufgestülpt. Im Nachbartrakt wird dieses frappierende „Hier und jetzt“ zur Basis für eine Szene aus Rudolf Leonhards Kriegsstück „Geiseln“ über die Ohnmacht in der Gefangenschaft – eine geschickt eingefügte, grausame Paraphrase in der Beethoven-Inszenierung. Stärker als beim Hauptstück noch sieht man die darstellerische Wut der Mitglieder – im kalten Lächeln der Waffen-SS ebenso sehr wie in der existenziellen Verzweiflung der Geiseln, die erschossen werden sollen.

Mit solcher Theaterhaltung ist es auch in der Macho-Gesellschaft des Männergefängnisses für einen wie den muskulösen Gino kein Problem, die jugendliche Liebhaberin Marzelline aus „Fidelio“ zu spielen. Einer, der als „Paul E.“ im Programm steht, ist körperlich nicht weniger gut trainiert, aber gleichzeitig so etwas wie der zurückgenommen zweifelnde Intellektuelle im Ensemble. Er spielt Leonore, die Hauptfigur des Stückes so glaubhaft verzweifelt und kämpferisch, dass man die leidige Frage des „Frau oder Mann“ vollends vergisst.

Eigentlich vergisst man auch den Rest der wirklichen Welt in diesen zwei Stunden. Das Gefängnis umschließt einen, es scheint eine körperliche Wirkung zu haben, es drückt. Man verlässt es aber auch befreiter als ein Opernhaus. Die Darsteller, nicht anders als in der Festung des Pizarro, werden mit Anstaltsautos einzeln oder in Gruppen zu ihren Zelltrakten zurückgefahren.

Justizvollzugsanstalt Tegel, Seidelstraße 39. Aufführungen am 19., 20., 21., 26., 27., 28. Februar, 4., 5., 6., 11., 12., 13. März.