Weihnachtszeit ist Caroline-Link-Zeit. Erst im vergangenen Jahr haben wir ein Interview mit der Filmregisseurin Caroline Link geführt, im Hotel de Rome, unterm Weihnachtsbaum, damals für den Hape-Kerkeling-Film „Der Junge muss an die frische Luft“. Nun treffen wir uns zur selben Zeit am nämlichen Ort. Ihr neuer Film, die Judith-Kerr-Verfilmung „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, hat am ersten Weihnachtsfeiertag Premiere. Auch die in München lebende Regisseurin muss da lachen: „Alle Jahre wieder“ sagt sie zur Begrüßung.
Berliner Morgenpost: Liebe Frau Link, ich habe ein Déjà-Vu. Schon wieder treffen wir uns zur Adventszeit hier. Sind Sie die Frau für den Weihnachtsfilm?
Caroline Link: Nein. Für „Der Junge muss an die frische Luft“ habe ich die Arbeit an „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ unterbrochen und danach weitergeführt. Das passiert nie wieder, dass ich so schnell zwei Filme hintereinander mache. Das wäre wirklich kein Arbeitsmodell für mich. Ich muss nicht jedes Jahr einen Kinofilm drehen. Das wäre mir viel zu anstrengend.
Ich habe Sie damals schon gefragt, ich frage jetzt noch einmal: Sie drehen immer wieder Filme aus der Perspektive von Kindern, gerade von traumatisierten Kindern. Was spricht Sie dabei so an?
Oje, was habe ich denn letztes Jahr geantwortet? (lacht) Kindheit rührt mich einfach. Ich kann nicht erklären, warum. Ich würde auch nicht behaupten, dass das ein Faible für mich ist. Aber am Ende fasziniert es mich doch immer wieder.
Das Buch wurde 1974 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Eine ganze Generation wuchs damit auf. Sie auch?
Ja, ich habe das damals auch gelesen. Das Buch war Schullektüre, in der fünften Klasse und ich mochte es sehr. Weil die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus sehr jugendgerecht aus der Perspektive eines Kindes aus dem Exil heraus erzählt wird. Dafür war ich Judith Kerr damals sehr dankbar. Man musste keine Angst haben vor dem Buch. Es war nicht besonders grausam, abgesehen von der Erzählung über den Professor, der in einer Hundehütte gehalten wurde. Das war schon hart genug, und ließ ahnen, was in Deutschland gerade passiert. Man kann finden, dass die Geschichte harmlos ist, aber unter der sonnigen Oberfläche geht es um Flucht und Heimweh. Judith Kerr wollte davon erzählen, was es für eine Kraft in einer Familie freisetzt, wenn sie zusammenhält.
Großartig sind immer Ihre Entdeckungen, die Kinder-Darsteller. Wie schwierig war es in diesem Falle, die richtige Darstellerin der Anna zu finden? Es sollen sich über 1000 Mädchen dafür beworben haben.
Ach, das sind immer so große Zahlen. Viele Kinder kommen dann sowieso vom Typ her gar nicht in Frage. Als Riva in den Raum kam, waren wir sehr gespannt. Sie ist so eine goldige Erscheinung, eine kleine Pippi Langstrumpf, aber sie hat auch Tiefgang und kann sich in den Moment hineinfühlen. Und dann geht sie ja auch noch, was reiner Zufall ist, auf dieselbe Grundschule im Grunewald, auf die auch Judith Kerr damals gegangen ist. Sie wusste schon viel über Judith Kerr, auch über dieses Buch. Und wollte unbedingt die Anna spielen.
Und wie pädagogisch gehen Sie dabei vor, Kinder in so ein schwieriges Thema einzuführen und anzuleiten?
Ich arbeite am liebsten mit Kindern, die noch nie gedreht haben und sich deshalb ihrer Wirkung noch nicht bewusst sind. Bei den Dreharbeiten arbeitet man mit ihnen dann eher äußerlich. Man kann nicht von einem Julius Weckauf erwarten, dass er sich in „Der Junge“ vorstellt, dass sich seine depressive Mutter das Leben nimmt. Oder jetzt Riva Krymalowski, wie es wäre, wenn man in ein fremdes Land ziehen muss. Natürlich redet man vorab über das große Ganze. Aber am Drehort sucht man nach konkreten Gesten oder einer Körperhaltung. Also das genaue Gegenteil, wie man mit ausgebildeten Schauspielern arbeitet. Die würden einem was husten, wenn man solche engen Regieanweisungen gibt.
Judith Kerr ist im Mai gestorben. Sie standen noch im Kontakt mit ihr. Hat sie Teile des Films noch sehen können?
Nein, leider nicht. Dass ihr Roman fürs Kino verfilmt wurde, hat ihr sehr viel bedeutet. Sie hätte auch gern noch die Riva getroffen. Aber sie wollte nicht mehr fliegen oder die Dreharbeiten besuchen. Sie war ja schon 95. Und hat noch an einem eigenen Buch gearbeitet. Ich habe aber zweimal mit ihr telefoniert in der Drehbuchphase. Ihr größtes Anliegen war, dass wir das Ansehen ihres Vaters nicht beschädigen. Er war ja, wie Sie wissen, ein scharfzüngiger Theater- und Kulturkritiker, auch ein Vernichter, wenn er wollte. Aber als Vater war er offenbar sehr weich und einfühlsam. Judith hing sehr an ihm und hatte Angst, wir könnten ihn zu kritisch zeigen.
Bei dem Flüchtlingsschicksal, erzählt aus der Perspektive eines Mädchens, muss man natürlich an Ihren größten Erfolg „Nirgendwo in Afrika“ denken, für den Sie 2003 den Auslands-Oscar gewannen. Haben Sie Angst, manche denken jetzt, „Das rosa Kaninchen“ sei ein „Nirgendwo in Afrika 2“? Quasi „Nirgendwo in Europa“?
Ja. Beim Drehen hatte ich selbst manchmal das Gefühl, dass wird eine Mischung aus meinen Filmen „Pünktchen und Anton“ und „Nirgendwo in Afrika“. Natürlich will ich mich nicht wiederholen. Immer diese goldigen, naseweisen, kleinen Mädchen, die ihren Eltern erklären, um was es im Leben geht. Auf der anderen Seite war der Stoff einzigartig. Wie das große politische Drama im Kleinen erzählt wird. Judith Kerr hatte dafür so schöne, sehr spezielle Details. Allein dieses rosa Kaninchen im Titel – dass alles, was den Schmerz dieses Mädchens ausmacht, in diesem Stofftier zusammenkommt. Deshalb wollte ich den Stoff dann doch unbedingt machen.
Bei „Nirgendwo in Afrika“ dachte man vor 18 Jahren noch, das ist ein ganz historisches Thema. Gerade aber nehmen Antisemitismus und Ausgrenzung in Deutschland wieder erschreckend zu. Inwieweit ist „Das rosa Kaninchen“ auch ein Kommentar auf die Gegenwart?
Das alles ist in der Tat wieder aktuell. Und das erschreckt mich. Mich erschrecken auch Kommentare, die unter unserem Trailer auf Youtube stehen. Da steht etwa: „ Dieser Film ist antideutsche Hetze“. Oder: „Immer sind die Juden die Guten und die Deutschen die Bösen!“ Als wären die Mitglieder dieser jüdischen Familie keine Deutschen gewesen. Dass die Menschen wieder einen solchen antisemitischen Blödsinn denken, ist schon gefährlich. Gerade deshalb brauchen wir immer wieder solche Filme. Das Kino kann uns sehr gut dazu bringen, die Perspektive zu wechseln und die Geschehnisse aus einer anderen Sicht zu erleben.
Ihr Film startet am ersten Weihnachtsfeiertag. Ist das der richtige Termin? Oder kommt der in einer Zeit, wo alle auf Heimeligkeit machen wollen, womöglich falsch?
Ich werde oft gefragt, ob das ein Weihnachtsfilm ist. Aber was soll das sein? Es geht auch um Flucht, Vertreibung, Ausgrenzung. Und um ein Kind. Wie auch in der Weihnachtsgeschichte. Für mich ist das aber so eine Marketing-Überlegung, über die ich mir keine Gedanken mache. Das müssen andere beim Verleih überlegen, wann sie den Film starten wollen.
Wie wichtig ist Ihnen denn persönlich Weihnachten? Wie begehen Sie diese Zeit?
Ich liebe Weihnachten und diese ganzen Rituale. Bei uns läuft das alle Jahre gleich ab. An Heiligabend ist die Familie zusammen, Dominik, Pauline, meine Mutter und ich. Dann gibt es noch einen Abend mit der Graf-Familie und einen Abend mit der Link-Familie. Und dann fahren wir in die Berge.
Ist ein Starttermin just zu den Feiertagen dann nicht schrecklich? Bangt man da nicht automatisch, ob der Film ankommen wird, bleibt da Zeit für Besinnlichkeit?
Ich habe sehr gute Erfahrungen mit einem Kinostart Ende Dezember gemacht. Schon „Jenseits der Stille“ startete in der Weihnachtszeit, „Nirgendwo in Afrika“ kam auch im Winter heraus. Irgendwie scheint das ein Datum, das zu meiner Filmsprache passt. Es geht gar nicht um den Inhalt, sondern um diese Form der Emotionalität, die sich die Zuschauer offensichtlich zwischen den Jahren, wenn sie etwas besinnlicher gestimmt sind, ganz gerne anschauen.