Gut 2000 Zuhörer saßen in den plüschigen, roten Sitzen des Theaters am Potsdamer Platz, um einen der vielfältigsten und auffälligsten Musiker der Rock-Pop-Geschichte zu sehen und zu hören. Geboten wurde ihnen eine Multi-Media-Show, mit der die Band wohl schon seit 2018 unterwegs ist. Ian Anderson und seine hochkarätige Band spielten stilbildende Songs, mit denen die 50-jährige Geschichte von Jethro Tull mit 19 Songs bis Ende der 70er-Jahre illustriert wurden. Zu hören gab es ein Potpourri der bekanntesten Hits der nach einem bedeutenden englischen Landwirt des 18. Jahrhunderts benannten britischen Band.
Allerdings dauerte es bis zur Zugabe, bevor sich das größtenteils über 55 Plus-Publikum von den Sitzen erhob. Vorher war nur Theaterpersonal zwischen den Reihen unterwegs, um trotz Handy-Film-Verbots Filmende zurechtzuweisen.
Multimedial begleitet wurde die beinahe chronologische Abfolge von Songs aus den ersten elf Alben von Jethro Tull mit einem Feuerwerk von Filmausschnitten und Fotos auf einem riesigen Bildschirm. Teilweise kündigten ehemalige Bandmitglieder, es gibt über 30, und Musiker von Black Sabbath oder Iron Maiden ihre Lieblingstitel an. Die wurden dann von der Live-Band in klassischem Setting mit Keyboard, Bass, Gitarre und Schlagzeug in größtenteils neuen Arrangements gespielt.
Der Funke zum Publikum sprang erst spät über
Im Mittelpunkt stand immer wieder Flötist Ian Anderson mit seinen typischen, teils überblasenen Tönen und der bekannt faszinierenden Phrasierung. Gleichzeitig war Anderson auf dem Riesenbildschirm in unzähligen Aufnahmen aus frühen Jahren zu sehen, unterbrochen von Screen-Art-Sequenzen. Vielleicht auch wegen dieses Ian-Anderson-Bilder-Tsunamis sprang der Funke von Live-Band zu Publikum erst sehr spät über.
Zusammen mit Bassist David Goodier und dem grandiosen Gitarristen Florian Opahle, dem seit 2007 zur Band gehörenden Keyboarder John O’Hara, und Schlagzeuger Scott Hammond begab sich der exzentrische Multi-Instrumentalist Anderson mit fast 20 Songs auf eine Zeitreise in die Vergangenheit.
Gegründet in Blackpool, gelang der vorher unter verschiedenen Namen auftretenden Band 1968 im legendären Marquee Club in London als Jethro Tull der Durchbruch. Vom ersten Album der Band "This Was" aus dem Jahr 1968 stammten gleich mehrere Titel des Konzerts, "Love Story", "A Song for Jeffrey" und "Dharma for one" in dem für Jethro Tull charakteristischen Wechselspiel von singenden Melodien mit angezerrten Gitarrenriffs, folkbetonten Rhythmen und reduzierten Soli.
„Locomotive Breath“ als Zugabe
Die meisten Konzert-Titel stammten von Jethro-Tull-Tonträgern bis 1979, Stand Up, Aqualung, Thick as a Brick, Songs from the Wood, Heavy Horses und Storm Watch. Von letztem gab es das selten gespielte Warm Sparron. Nur vereinzelte Lieder wie Farm on the Freeway waren von Alben nach 1979 zu hören.
Das Publikum bekam für rund 70 Euro anderthalb Stunden in die Jetztzeit transponierte Musik aus den 70ern geboten, handwerklich meisterlich gespielt. Mit exakt einer Zugabe, dem Nummer 1-Hit „Locomotive Breath“ wurde es glücklich von Ian Anderson nach Hause geschickt.