Die Wege des Daniel Barenboim sind mitunter erstaunlich: Erst vor ein paar Jahren hat er den spätromantischen Sinfoniker Edward Elgar für sich und seine Staatskapelle entdeckt. In der vergangenen Saison sorgte Barenboim dann mit Tschaikowskys „Winterträume“-Sinfonie Nr. 1 für eine Berliner Repertoire-Überraschung. Und jetzt das: ein purer Konzertabend mit Werken von Camille Saint-Saëns. Aber das ist schon eher nachzuvollziehen. Denn Barenboim hat in den 70er- und 80er-Jahren sehr viel französisches Repertoire dirigiert und auch auf Schallplatte aufgenommen – als langjähriger musikalischer Direktor des Orchestre de Paris.
Spätromantische Sinfonik aus Frankreich
Wenn Barenboim nun also Saint-Saëns‘ Violinkonzert Nr. 3 op. 61 und die „Orgelsinfonie“ op. 78 spielen lässt, dann wirkt das einerseits wie eine Erinnerung an alte Zeiten. Anderseits schwingt noch viel mehr mit: Barenboims Überzeugungskraft, dass es sich bei diesen Werken eindeutig um Meisterwerke handelt. Barenboims Verlangen, dass dies auch das Publikum merkt. Und nicht zuletzt: der Gewinn, den die Staatskapelle aus der Beschäftigung mit spätromantischer Sinfonik aus Frankreich ziehen kann.
Vor allem, wenn das Orchester jetzt mit so viel Hingabe und Inspiration bei der Sache ist wie an diesem Dienstagabend in der Philharmonie. Bei Saint-Saëns‘ Violinkonzert Nr. 3 hält sich die Staatskapelle allerdings noch auffallend zurück. Barenboim dimmt die Streicher. Er lässt die Holzbläser dezent im Hintergrund zaubern. Lisa Batiashvili, die Solistin des Abends, steht dafür umso mächtiger im Zentrum. Doch es ist eine Macht, die Batiashvili diesmal nicht unbedingt für erfülltes Musizieren nutzt. Sondern für ein virtuoses Dauer-Feuerwerk nach strengem Zeitplan.
Spielfreude, Leidenschaft und Geistesgegenwart
Eher seriös als gelöst wirkt sie sogar im tänzerisch-pastoralen Andantino in der Mitte. Ihr Pianissimo hebt sich Batiashvili dabei für ganz besondere Stellen auf. Für Stellen, die dann aber ebenfalls recht kalkuliert klingen. Kurzum: Batiashvili ruft technische Routine ab, nicht mehr und nicht weniger – was im Vergleich zur Staatskapelle diesmal freilich besonders auffällt. Denn das Orchester vermittelt dem Publikum, einen ganz besonderen Abend zu erleben.
Und mehr noch: nachhaltige Glücksgefühle, als die Staatskapelle endlich mit Saint-Saëns‘ „Orgelsinfonie“ von 1886 loslegt. Weil hier alles zu passen scheint. Die Spielfreude, die Leidenschaft, die Geistesgegenwart. Ausgeklügelt und organisch zugleich die Balance zwischen Beethovenscher Schicksalhaftigkeit und Mendelssohnscher Feenmusik, zwischen religiösem Rausch à la spätem Wagner und dem auffälligen „Dies irae“-Motiv, das auf den Widmungsträger Franz Liszt verweist. Die Größe und Würde dieser Musik steht bei Barenboim stets außer Frage. Besonders beeindruckend: wie das Orchester den Klang der Orgel imitiert und bereichert – mit langgezogenen, intensiven Streichern und impressionistischen Bläser-Farbtupfern.