Liegen Marzahn, Lichtenberg oder Hellersdorf auf einem anderen Stern? Zu dem Eindruck könnte man fast kommen, wenn man die Teenager mit ihren Piercings, Tattoos oder Nasenringen sieht, die zwischen den einförmigen Betonblöcken selbstbewusst in die Kamera blicken. Auf jeden Fall leben Pascal, Peggie, Jasmin oder auch Joey in einem ganz eigenen Kosmos, genannt Plattenbau. Es sind Gesichter der „Wendekinder“-Generation.
Die Berliner Fotografin Christine Fenzl hat sich in die östlichen Randbezirke Berlins aufgemacht; zum ersten Mal 2008, immer im Sommer („des Lichts wegen und um mehr Körperlichkeit zu sehen“) und immer mit dem Fahrrad, „um einerseits beweglich zu sein, aber auch jederzeit absteigen zu können“. Christine Fenzl will den Jugendlichen begegnen, und dafür muss sie sie ansprechen.
Anfangs fühlte es sich „ein wenig an wie verreisen in der eigenen Stadt an“, erklärt die Fotografin, die ähnliche Projekte auch in London, São Paulo oder Nairobi realisiert hat. Christine Fenzl war Assistentin von Nan Goldin, die in ihrem Beitrag zum Buch angesichts der Wohnblocksiedlungen vom Eindruck einer „dystopischen Welt“ spricht. Das ist natürlich übertrieben, wenn, dann stehen diese Bauten für den Untergang der DDR-Utopie.
In den Fotografien bilden sie ohnehin eher die Kulisse, vor der die Kamera den Jugendlichen ermöglicht, sich selbst zu zeigen. Und man spürt, dass sie gesehen werden möchten. Ein größeres Kompliment kann man der Fotografin kaum machen. Christine Fenzl konzipiert nicht, zwingt ihren Blick nicht auf, komponiert natürlich, arbeitet mit dem natürlichen Licht, überlässt die Bühne aber den Porträtierten.
Die erscheinen auf den ersten Blick fremd, dann aber doch auch nah. Man sieht sie, nicht zuletzt, wie sie sich selber sehen, und stylisch selbst inszenieren. Ob es ihnen bewusst ist oder nicht, in ihnen, den nach Mauerfall geborenen, leben der gescheiterte Sozialismus, aber auch die ersten Nachwendejahre fort. Manche der porträtierten Frauen sind inzwischen selbst junge Mütter. Man fragt sich, welchen Weg sie gehen werden. Denn auch das leisten ja die Bilder: Momentaufnahmen aus zehn Jahren, die schon wieder Vergangenheit sind.
Seit Anfang diesen Jahres ist die Mauer länger gefallen, als sie einst stand. Die meisten Brachen wurden zugebaut - die Großstadtwildnis der neunziger Jahre wurde urbanisiert. Die hippen Mitte-Bewohner und nachgezogenen Studenten wichen aus in die Altbauten von Friedrichshain oder Wedding, aber nie nach Hellersdorf oder Marzahn. Architektur und Milieu der Plattenbausiedlungen schrecken dann scheinbar doch ab, bilden Enklaven mit Menschen, denen man außerhalb höchsten mal im Saturn-Markt am Alexanderplatz begegnet.
Leben die vorgestellten Teenager eigentlich gerne dort? Empfinden sie Orte wie Hellersdorf oder Marzahn eigentlich als ihre Heimat? Oder halten persönliche Verhältnisse und Herkunft sie hier? Christine Fenzls Bildband „Land in Sonne“ verzichtet bewusst auf Erklärungen. Auch über die Biografien der Protagonisten verrät das Buch nichts. Denn um die klassische Form der Dokumentarfotografie „angetrieben von dem Wunsch, Menschen und Orte ethnografisch zu beschreiben“ (Nan Goldin) geht es Christine Fenzl nicht. Vielmehr zeigt sie die persönlichen Lebenswelten der Teenager, wie sie sich privat in den „nach außen hin so homogen erscheinenden Plattenbauten“ einrichten: zwischen Wänden, die einst die DDR errichtete – als Stolz des Sozialismus. Christine Fenzl zeigt den Stolz ihrer jungen Bewohner.
Christine Fenzl:„Land in Sonne“, Text(e)von Dani Levy, Nan Goldin, Christine Fenzl. Hatje Cantz Verlag. 160 Seiten, 24 Euro.