Kurz vor der Premiere hat er natürlich Lampenfieber. Das hat man ja immer. Aber diesmal muss es besonders gut werden. Denn dieser Tage feiert Tim Fischer sein 30-jähriges Bühnenjubiläum. Dazu hat der 46-Jährige ein neues, voluminöses Doppelalbum herausgegeben mit vielen neuen, aber auch alten Liedern, das er gleich „Zeitlos“ betitelt hat. Genau so heißt nun auch sein neues Programm, das am heutigen Donnerstag im Tipi am Kanzleramt Premiere hat. Wir haben den Entertainer dazu gesprochen. Und seine 30 Bühnenjahre Revue passieren lassen.
Berliner Morgenpost: Herr Fischer, Sie feiern Ihr 30. Bühnenjubiläum: Wie fühlt sich das an?
Tim Fischer: Irgendwann sagte eine Freundin zu mir: „Du, ich habe nachgerechnet. Du hast demnächst 30-Jähriges.“ Ich war entsetzt. So alt fühle ich mich noch gar nicht. Und dann überkam mich auch gleich Panik, dass man schon ans Aufhören denken muss. Dabei fühle ich mich so, als hätte ich gerade erst angefangen. Ich habe auch immer noch dieselbe Lust und Energie und freue mich aufs Publikum. Ich spule da keinen Film ab, ich bin nicht in Routine erstarrt.
Zum 30-Jährigen könnte man einfach ein Best-of machen. Sie kommen dagegen mit einem neuen Programm. Und haben auch gleich ein neues Album herausgebracht, mit zwei CDs.
Ich wollte auf keinen Fall nur eine sentimentale Rückschau abliefern. Ich kann auch mit Geburtstagen nichts anfangen. Aber ich will mit meinem Publikum, das mich jetzt über eine lange Zeitspanne hinweg begleitet hat, eine große Party feiern. Klar wird es auch ein paar alte Lieder geben, sogenannte Hits, die das Publikum gerne hören möchte. Das bedient man natürlich gerne. Für 30 Jahre singe ich 30 Lieder, 15 neue und 15 alte. Wobei es mir wichtig ist, dass auch die alten Lieder in völlig neuen Arrangements gepackt und ins Hier und Jetzt geholt werden.
Was war denn Ihr allererstes Konzert?
Ich berechne das erst mit dem ersten abendfüllenden Konzert. Natürlich habe ich mich vorher schon ausprobiert, in Shows mit anderen Künstlern oder auf Stadtfesten. Aber mit 16 Jahren hatte ich meinen ersten eigenen Chanson-Abend. Mit „Zarah ohne Kleid“, Lieder von Zarah Leander und solche, die ich ihr in den Mund gelegt habe. In Wilhelmshaven. Da spielte ich damals gerade meine erste Musicalrolle, in „Kennwort: Einsames Herz“.
Mit Zarah Leander-Liedern haben Sie angefangen und sind Sie bekannt geworden. Warum ausgerechnet sie?
Eigentlich habe ich nur meine norwegische Großmutter parodiert. Die hatte nämlich eine sehr große Ähnlichkeit mit ihr. Als ich Zarah Leander das erste Mal im Fernsehen sah, dachte ich, das ist meine Großmutter. So wurde Zarah zu meiner dritten Großmutter, und Oma zum Filmstar für mich.
Dennoch war Zarah Leander ein Durchhaltestar der Nazis.
Aber eine, die so gar nicht dem Nazi-Ideal einer blonden Frau entsprach. Sie hatte rote Haare und eine so tiefe Stimme. Sie wirkte ja fast wie eine Travestiekünstlerin. Sie hat in Babelsberg natürlich auch in einer Blase gelebt, hat sich vereinnahmen lassen und sich später als „politischen Idioten“ bezeichnet. Meine Großeltern, das war ja genau diese Generation, die alles, was in dieser Zeit geschehen ist, verschwiegen und verdrängt hat. Das konnte man da alles mit hineinnehmen. Und dann war sie ja auch eine Schwulenikone. Wurde also von denen verehrt, die im Dritten Reich verfolgt wurden. Das war alles hochinteressant.
Sie haben das Zarah-Kleid dann bald abgelegt und Ihr Repertoire immer mehr erweitert.
Ich will mich nicht wiederholen. Ich versuche, mit jedem Programm etwas Neues zu kreieren. Und mich neu zu erfinden.
Sie sind dann erst mal im Hamburger Schmidt Theater aufgetreten. Wie kamen Sie nach Berlin? War das eine Sehnsuchtsstadt.
Unbedingt. Und wieder wegen einer alten Frau! Ich durfte schon in jungen Jahren nach Berlin. Meine beste Schulfreundin hatte eine Oma in Berlin, die kam regelmäßig nach Hude. Und erzählte immer wieder die alten Geschichten aus Berlin. Die anderen konnten die irgendwann nicht mehr hören, ich hatte immer ein offenes Ohr. Ilse hat mir dann auch alte Schellackplatten mitgebracht. Und irgendwann durfte ich sie dann auch besuchen. Da stand die Mauer noch, da war Berlin noch ganz anders. Ich mochte die Stadt sehr. Und für die Mitternachtsshow im Schmidt Theater kamen auch viele Künstler aus Berlin. Die haben mich dann ins BKA eingeladen. Also nicht ins Bundeskriminalamt, sondern ins Berliner Kabarett Anstalt. Ich kam dann her. Und bin hängengeblieben.
Gibt es da einen besonderen Hang zum Berlin der 20er-Jahre? Mit all den Spoliansky-, Hollaender-, Marlene-Songs?
Ja, immer schon. Ich habe nie Punkmusik gehört, das haben ja schon meine Eltern getan. Mir haben es diese alten Lieder angetan. Und die Texte von Tucholsky und Kästner. In den 20er-Jahren ging hier einfach die Post ab. Hier lebten all die Großen, die das Kabarett-Chanson-Metier ausgemacht haben. Deshalb fühle ich mich hier schon sehr zuhause.
Dann schließt sich da auch ein Kreis für Sie, dass Sie in der Serie „Babylon Berlin“ mitspielen?
Ich spiele auch in der neuen Staffel wieder mit. Wenn man dafür nach Babelsberg in die Studios kommt und dort all die alten Straßenzüge nachgebaut sieht, dann ist das schon gigantisch. Das ist wie eine Zeitreise. Diesmal durfte ich sogar ein Lied für die Serie schreiben und performen.
Sie haben schon früh über Ihre Drogenprobleme gesprochen. War der Erfolg zu viel, zu schnell, haben Sie das nicht verkraftet?
Das weiß ich nicht. Ich war auf jeden Fall ein neugieriger junger Mensch. Als ich nach Berlin kam, war ich so 18 und habe mich in einer Szene bewegt, wo immer etwas genommen wurde. Da habe ich eben mitgemacht. Und ich war kein Kind von Traurigkeit. Ich dachte auch, ich bräuchte für Auftritte etwas, was mich aufputscht, was mich noch schriller macht. Das war eine Phase. Ich bereue sie auch nicht. Aber ich habe schnell gemerkt, so kann ich nicht arbeiten. Ich war schnell ausgebrannt. Und ich wollte ja nicht mich berauschen, sondern das Publikum. Dafür musste ich mich voll unter Kontrolle haben und klar artikulieren können.
Die Droge heute ist die Musik?
Aber hundertprozentig. Das Genre Chanson begeistert mich nach wie vor. Und macht mich glücklich.
Heute sitzt wieder Rainer Bielfeldt bei Ihnen am Klavier. Sie waren mal ein Paar, das ging dann auseinander. Auch künstlerisch. Wie ist das Zusammenspiel heute?
Das ist immer wieder Wechseln unterworfen. Wir waren zwei Jahre zusammen, ganz früh, das begann, als ich 17 war. Viele Jahre später haben wir uns wiedergefunden, nicht als Paar, aber auf der Bühne. Wir haben große Tourneen zusammen absolviert, waren in den letzten Jahren auch sehr erfolgreich. Und wie das so ist bei alten Pärchen: Mal verstehen sie sich und mal nicht.
Irgendwann fing dann ja auch noch Ihr jüngerer Bruder Denis Fischer an zu singen. Freut man sich da eigentlich mit? Oder ärgert man sich, wenn da Konkurrenz aus dem eigenen Stall kommt?
Natürlich freut man sich für den jüngeren Bruder. Aber als Denis anfangs geklagt hat, dass ich überall schon so fett drin hänge, dass für ihn kein Platz mehr sei, habe ich schon gesagt: Musstest du denn genau das machen, was ich mache? Ich muss aber anerkennend sagen: Denis hat seinen ganz eigenen Weg gefunden. Und ich bin wahnsinnig stolz auf ihn.
Könnten Sie sich auch mal ein gemeinsames Programm mit ihm vorstellen?
Ein paar Lieder haben wir schon mal gemeinsam auf der Bühne gesungen. Aber für ein ganzes Programm müsste ein guter Aufhänger gefunden werden. Da reicht es nicht, dass wir Brüder sind.
Sie haben so ziemlich jeden Preis gewonnen, denn man in Ihrer Sparte kriegen kann. Sind Sie stolz darauf? Polieren Sie regelmäßig Ihre Trophäen?
Also auf Deko stehe ich schon mal gar nicht. Und Stolz ist so ein Wort, mit dem ich nicht viel anfangen kann. Wenn ich an Preise denke, dann an Publikumspreise. Und das ist schon eine tolle Bestätigung, dass die Zuschauer das, was du da auf der Bühne machst, mögen.
Sie sind gerade innerhalb Berlins umgezogen, von Mitte nach Wilmersdorf. Ist Mitte zu laut geworden?
Ich will Berlin schon spüren. Ich muss ab und an mal jemanden berlinern hören. Ich brauche auch mal diese vermeintlich ruppige, flapsige Art, vor der man als Neuberliner erst mal zurückschreckt, bis man das große Herz dahinter entdeckt. Davon habe ich in Mitte aber wenig erlebt. Da gibt es zu viele Rollkoffer. Und gar keine alten Menschen mehr. Ich habe mich da nicht mehr wohl gefühlt. Da geht es mir im alten Westen viel besser.
Sind Sie jetzt eine „Wilmersdorfer Witwe“? Werden Sie gar ein wenig spießig auf Ihre reifen Jubiläumstage?
Ich hoffe, es ist noch keine Altersspießigkeit. Aber es gibt ja auch eine junge Spießigkeit. In Mitte sitzt man auf einer Bierkiste und guckt versnobt in die Luft. Ich sitze lieber auf dem Stuhl.
Das Programm: „Zeitlos“: Tipi am Kanzleramt, Große Querallee, Tiergarten. Premiere: 17. Oktober 2019. Weitere Termine: 18-20., 22./23. und 25. bis 27. Oktober, 20 Uhr; 27. Oktober, 19 Uhr.
Das Album „Zeitlos“ Doppel-CD (Smd T.F/Sony Music), seit 11. Oktober 2019 im Handel