Staatsoper

„Die lustigen Weiber von Windsor“: Falstaff als Rocker

| Lesedauer: 6 Minuten
Volker Blech
Michaela Schuster (Frau Reich), Michael Volle (Herr Fluth) und der Staatsopernchor

Michaela Schuster (Frau Reich), Michael Volle (Herr Fluth) und der Staatsopernchor

Foto: Staatsoper Berlin / Monika Rittershaus

Regisseur David Bösch verlegt Otto Nicolais Spieloper „Die lustigen Weiber von Windsor“ in eine kleinbürgerliche Vorortsiedlung.

Bei der Premiere in der Staatsoper stimmt eigentlich alles. Daniel Barenboim dirigiert seine Staatskapelle, eine exquisite Sängerbesetzung gibt dem Affen Zucker, sie scheint es zu genießen, jenseits der üblichen schweren Partien einmal das Komödiantische auszuleben. Dafür hat sich das Haus mit David Bösch einen theatererfahrenen Regisseur geholt, der alles in die emanzipatorische Moderne drehen will und mit seinen Darstellern geschickt nach jedem Gag greift.

Nach der ganzen Aufregung werden im Finale bei einer „Der lustigen Weiber von Windsor“ die Wehen einsetzen. Ist sie wirklich schwanger?, tuschelt es durch den ersten Rang. Ja, sie ist es. Und was macht Mann auf der Bühne? Er wird ohnmächtig. Typisch. Der Vorhang fällt. Das Publikum lächelt und jubelt. Die Neuproduktion hat alles, um ein Publikumsrenner an der Staatsoper zu werden.

An der Komischen Oper besser aufgehoben

Und dennoch bleibt an diesem Abend ein fader Geschmack zurück. Mit Otto Nicolais komisch-phantastischer Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ frei nach Shakespeare hat die Staatsoper ihre Saison eröffnet, es soll also eine wegweisende Premiere sein, obendrein findet sie am Tag der Deutschen Einheit statt. Man fragt sich, was die Botschaft dieser Eröffnung ist, warum die Staatsoper mit einer biederen Spieloper daherkommt? Zumindest im Programmheft ist zu finden, dass Nicolais Oper vor 170 Jahren am Haus uraufgeführt wurde.

Genau genommen war der Komponist Otto Nicolai, von dem nur diese eine Oper im Repertoire erhalten geblieben ist, eine Marginalie in der Hofopern-Geschichte. Am 1. März 1848 trat Nicolai sein Amt als Hofkapellmeister an, hatte sich der üblichen Intrigen zu erwehren und starb zwei Monate nach der Uraufführung, die am 9. März 1849 stattfand, an einem Gehirnschlag.

Der König selbst hatte die Opernpremiere befohlen, nachdem in einem Hofkonzert das Eingangsduett der „Lustigen Weiber“ aufgeführt worden war. Aber die Uraufführung ließ zunächst auf sich warten - und hier beginnt der spannende Teil der Geschichte. Nur wenige Tage nach Nicolais Amtsantritt war in Berlin die Märzrevolution ausgebrochen. Rund um die Hofoper gab es Barrikaden, das Schloss wurde belagert, in den blutigen Straßenkämpfen starben Hunderte. Es dauerte in Berlin nur einige Monate, bis der König die Macht wieder in den Händen hielt. Die Nicolai-Uraufführung war ein Teil der politischen Restauration.

Von der gescheiterten deutschen Revolution 1848/49 mit all ihren Auswirkungen auf Patriotismus und Demokratie ist in der Staatsoper jetzt so gar nichts zu erfahren. Man fragt sich schon, was der Regie-Quergeist Barrie Kosky an der Komischen Oper, wo die elegant-beschwingte Spieloper besser hingehört, aus der Geschichte herausgefiltert hätte?

Falstaff als alt gewordener Rocker

Das Regieteam rund um David Bösch verlegt die Handlung lieber in ihre eigenen Jugenderinnerungen mitsamt Einfamilienbungalows, Wäschespinnen, Gartengrills und dem ewigen Herumgestehe mit der Bierflasche in der Hand. Man lernt, dass sich eine Komödie besser in einer kleinbürgerlich-spießigen Vorstadtsiedlung als in einer anonymen Großstadt ansiedeln lässt. Bösch entdeckt in der Geschichte rund um den alten Sir Falstaff, der jüngeren, verheirateten Frauen nachsteigt, zuerst eine Generationsgeschichte. Er lässt gekonnt drei Generationen aufeinanderprallen.

Falstaff ist ein alt gewordener Rocker, der fett und melancholisch durch die Szene tappelt. René Pape wurde dafür von Kostümbildner Falko Herold in einen unappetitlichen Fettanzug gesteckt. Der Starbassist des Hauses gibt dem alten Weinschlauch gemütliche Größe und offenbart in seinem vollmundigen Trinklied „Als Büblein klein an der Mutterbrust“ vor allem Verzweiflung. Statt im Gasthaus säuft sich Falstaff rund um einen Swimmingpool herum, es herrscht ein bisschen Ballermann-Stimmung. Zwischendurch zitiert Pape in der Dialogoper auch mal Herbert Grönemeyer, dessen Hit ja verrät, wie einsam, weinerlich und verletzlich Männer doch eigentlich sind.

In der Einfamilienhaus-Siedlung leben nebeneinander Frau Fluth und Frau Reich, die gern ein Sektchen trinken, sich die Hornhaut von den Füßen raspeln und sich über Männer lustig machen. Mandy Fredrich präsentiert beeindruckend die italienischen Koloraturen im Stück, Michaela Schuster die dunkel-pralle Lebenslust. Als später Dr. Cajus (David Ostrek) nach Frau Reich den Bungalow verlässt und sich die Hose zumacht, ahnt man, dass in dieser Siedlung mehr abgeht als Nikolais Oper eigentlich verrät. Den eifersüchtigen Herrn Fluth singt Michael Volle, er ist der Sängerstars, der sich auch stimmlich-gestalterisch am weitesten auf das Komödiantische einlässt. Er ist einmalig.

Gefühlsreichtum der deutschen Romantik

Ein Stück MeToo geistert durch die gesprochenen Dialoge. Es ist zu erfahren, dass Frau Fluth allen Männern schöne Augen macht, egal ob er Pfarrer, Postbote oder Generalmusikdirektor ist. Daniel Barenboim wirkt am Pult an diesem Abend gut gelaunt. Jetzt weiß man, dass die Staatsoper mit der ganzen Vorwurfskampagne gegen ihn wegen seines harschen Führungsstils wieder öffentlich gelassen umgeht.

Die jüngste Generation im Stück wird berührend von Anna Prohaska als Tochter Anna und Pavol Breslik als Fenton verkörpert und ausgesungen. In dieser Romeo und Julia-Story stört es wenig, dass sie bei Regisseur Bösch verranzte Metal-Fans darstellen und Luftgitarre spielen müssen. Denn aus dem Orchestergraben heraus kommen ganz andere Töne. Barenboim und seine Staatskapelle bringen die Gefühlsreichtum der deutschen Romantik und die italienische Buffa zum Klingen. Der Zauber liegt in der Vielfalt. Vielleicht sollte Barenboim der Musik noch ein bisschen mehr Ausgelassenheit gönnen.