Es ist kein leichter Job, den Christoph Stölzl gerade in Berlin angetreten hat. Als Vertrauensperson soll er für den Stiftungsrat im Jüdischen Museum arbeiten, bis die Findungskommission eine Lösung für die Leitung des Hauses gefunden hat. Der Direktor der Stiftung, der Judaist Peter Schäfer, war Mitte Juni nach wiederholt scharfer Kritik zurückgetreten. Umstritten waren unter anderem die Jerusalem-Ausstellung und ein Tweet des Museums, der einen Text über Proteste von Wissenschaftlern gegen eine Resolution des Bundestages verlinkte. Der Bundestag hatte sich am 17. Mai gegen die transnationale Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ gewendet, die Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will, um Druck auf den Staat auszuüben.
Herr Stölzl, die Position der Vertrauensperson gab es bislang nicht. Was können wir uns darunter vorstellen? Sind Sie Punchingball, Sparringspartner, Diplomat?
Christoph Stölzl Von allem etwas, hauptsächlich und hoffentlich aber Friedensstifter. Es ist eine zeitlich beschränkte, ehrenamtliche Tätigkeit. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat mich gebeten, mitzuwirken an einer Entspannung im Streit um das Jüdische Museum. Ich habe Ja gesagt, weil ich als Berliner Museumsmann und Kultursenator an der Geschichte des Jüdischen Museums immer wieder beteiligt war. Und zweitens, weil Monika Grütters große Verdienste um das Berliner Museumsleben hat und Loyalität verdient. Es geht um den Aufbau von mehr Vertrauen zwischen den Museumsleuten und Teilen der Öffentlichkeit. Und Frau Grütters möchte als verantwortliche Ministerin sicherstellen, dass die Suche nach einer neuen Museumsleitung in Ruhe geschehen kann. Ich möchte möglichst viele Gespräche führen, auch mit dem Stiftungsrat und den wissenschaftlichen Beiräten. Es muss gelingen, wieder zum Normalzustand zurückzukehren.
Und der wäre?
Museen sind autonome Kulturinstitutionen. Sie machen ihre Arbeit in eigener Verantwortung, müssen sich dabei selbstverständlich auch harte Kritik gefallen lassen und darauf antworten. Wenn der Zentralrat der Juden sich kritisch über das Museum äußert, sehe ich das zuallererst als eine Aufforderung zum intensiven Dialog. Normalzustand in einer offenen Gesellschaft heißt: Auch bei Kontroversen muss es fair zugehen. Es hilft, wenn man sich an den unbezweifelbaren Grundlagen orientiert. Das Jüdische Museum hat einen klaren Auftrag, wie er im Stiftungsgesetz von 2001 definiert ist. An ihm hat sich durch die jüngsten Turbulenzen ja nichts geändert: „Zweck der Stiftung ist es, jüdisches Leben in Berlin und in Deutschland, die von hier ausgehenden Einflüsse auf das europäische und das außereuropäische Ausland sowie die Wechselbeziehungen zwischen jüdischer und nichtjüdischer Kultur zu erforschen und darzustellen sowie einen Ort der Begegnung zu schaffen.“ Das ist ein weiter Rahmen, in den auch die seit 2012 tätige Akademie gehört. Wie er ausgefüllt wird, darüber entscheiden auch hochkarätige wissenschaftliche Experten.
Sie sind Hochschulpräsident in Thüringen, an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Sie arbeiten außerdem mit am Berliner Projekt „Exilmuseum“. Wie wollen Sie das alles unter einen Hut bekommen?
Bernd Schultz, der Hauptstifter des Exilmuseums, sagt immer: „Der Fleißige hat immer Zeit“
Aber Ihr Hauptwohnsitz bleibt Thüringen?
Ich pendele ohnehin zwischen Weimar als Arbeitsplatz und der Familie in Berlin. Wie ich meine Aufgabe als „Vertrauensperson“ zeitlich gestalte, liegt bei mir. Gespräche kann man an sieben Tagen der Woche führen, auch abends. Und die Kraft von Argumenten bemisst sich nicht nach Sitzungsminuten. Es geht darum, verhärtete Positionen zu lockern, Menschen miteinander ins direkte Gespräch zu bringen. Das Problem besteht oft darin, dass übereinander statt miteinander geredet wird.
Die neue Dauerausstellung soll im kommenden Frühjahr fertiggestellt sein.
Sie ist jetzt die Hauptsache. Ich freue mich, die Planung im Detail kennenzulernen und, wo nötig, mit meiner jahrzehntelangen Erfahrung mithelfen zu können, als Freund des Hauses. Die Dauerausstellung entsteht ja im Dialog mit einem sehr bedeutenden wissenschaftlichen Beirat – da ist alles auf gutem Wege.
Wie haben Sie den Streit um das Haus erlebt?
Ich habe mich ein bisschen hineingelesen in die ganze Saga der letzten Wochen und finde eigentlich, dass die große Aufmerksamkeit auch ein Ehrentitel für ein solches Haus ist. Ich habe 30 Jahre zurückgedacht, als das Deutsche Historische Museum gegründet wurde und unser junges Team in einer Kakophonie von Stimmen arbeiten musste; das war viel heftiger und dauerte viel länger. Da wurde das Projekt ganz grundsätzlich in Frage gestellt und mit politischem Knockout bedroht. Der Streit um die Richtung eines historischen Museums ist der Normalfall.
Zuletzt stellten sich viele die Frage nach der Autonomie des Hauses.
Frau Grütters hat mehrfach zu Recht betont, dass die kulturelle Autonomie des Hauses nicht zur Disposition steht. Umgekehrt müssen die, welche Autonomie genießen, auch aushalten, dass sie über ihre Werte und Motive Auskunft geben müssen und manchmal fundamental kritisiert werden. Das ist oft kein Schönwetterspaziergang, ich finde das aber zumutbar. Wenn Sie bedenken, wie es um Theater oder Opern steht, wie es da den Intendanten mit manchen Inszenierungen ergeht: Das ist nun einmal das Schicksal von Kulturleuten, dass sie für ihre Sache einstehen müssen, auch in Meinungsgewittern. Jeder darf die Stimme erheben, solange es in Fairness und Offenheit geschieht.
Welche Beziehungen haben Sie bereits zum Jüdischen Museum?
Meine wichtigste ist sicher die, dass ich im Jahr 2001 mit dem damaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann den Übergang des bisherigen Landesprojektes in die finanzielle Verantwortung des Bundes habe aushandeln können. Michael Naumanns „Ja“ hat ja erst die Grundlage für die heutige Größenordnung geschaffen. Ich habe schon vorher dafür plädiert, dass die Verantwortung für die Erinnerung an die jüdische Geschichte unbedingt eine nationale, nicht nur eine föderale Sache sein muss. Daraus ergab sich auch die heute selbstverständliche Trennung vom alten Berlin-Museum, die das großartige architektonische Ensemble mit dem Libeskind-Bau ermöglicht hat. Meine große Sympathien für das Jüdische Museum gelten der Idee: Das Judentum Deutschlands – oder besser: des deutschsprachigen Mitteleuropas – hat eine unglaublich reiche Kulturgeschichte. Es spielte und spielt eine zentrale Rolle für uns. An sie zu erinnern, ohne das entsetzliche Faktum des Holocaust einen Augenblick vergessen zu können, gehört zur Identität von Deutschen, Europäern und Weltbürgern. Das mir ganz wichtig. Ich sehe das auch bei dem Exilmuseum, für das sich auch die Nobelpreisträgerin Herta Müller und Joachim Gauck engagieren.
Sie werden nicht über den neue Leitung des Jüdischen Museums mitentscheiden?
Es gibt eine sehr fachkundige Findungskommisssion. Es erleichtert meine Rolle, dass ich weder operative noch personalpolitische Kompetenzen habe.
Im Streit um das Museum wurde auch die Frage diskutiert, an wen es sich eigentlich richtet.
Es richtet sich an alle, an Menschen aus aller Welt, die übrigens jetzt schon die Mehrzahl der Besucher stellen. Es richtet sich an Menschen aller Religionszugehörigkeiten. Selbstverständlich hofft das Museum, dass Menschen aus jüdischen Familien ganz besonders von diesem Ort der Kompetenz in jüdischen Fragen angezogen werden.
Wie haben Sie bereits sich mit der jüdischen Geschichte befasst?
Als junger Historiker habe ich mit mit der jüdischen Geschichte in der alten K.u.K.-Monarchie beschäftigt. Ich habe ein Buch über Franz Kafka und sein Verhältnis zum jüdischen Schicksal seiner Generation innerhalb einer – leider vielfach antisemitischen – Vielvölkergesellschaft geschrieben. In dem von mir geleiteten Münchner Stadtmuseum hieß Anfang der 1980er Jahre einer meiner ersten Ausstellungen „Das Jüdische Jahr“ – das war ein ungewohntes Thema für das große Publikum. Im Deutschen Historischen Museum haben wir dann in den 90er-Jahren eine bedeutende jüdische Figur der neuesten Geschichte porträtiert: Walther Rathenau. Später habe ich auch über Sigmund Freud geschrieben.
Was machen die Pläne für das Exilmuseum am Anhalter Bahnhof?
Wir tragen jetzt eine repräsentative Auswahl von Biografien zusammen aus über 500.000 Schicksalen – es betrifft ja das gesamte deutschsprachige Mitteleuropa. Es wird ein multimediales Museum sein, auch wenn es natürlich auch Objekte geben soll. Wir kooperieren mit den großen Sammlungen: dem Archiv der Akademie der Künste, dem Exilarchiv der Bibliothek Frankfurt, Exilarchiven in London und Wien – die sind alle sehr freundlich und werden uns helfen. Stellt man das Exil in den Mittelpunkt, dann erscheint das 20. Jahrhundert in einem anderen Licht: die „Weimar Cultur“ endet nicht 1933, sondern geht weiter, an vielen Plätzen auf der Welt, vor allem auf dem amerikanischen Kontinent, aber auch in England, Skandinavien, natürlich auch in Palästina, in Afrika und vielen anderen Regionen wie etwa der Türkei. Die Vertreibung war ein großes Unglück für die Vertriebenen, aber es gab auch die Chance zu Neubeginn und Kulturtransfer. Und was man am wenigsten kennt: Die Frage der Remigration. Es ist ein Skandal, wie die junge Bundesrepublik, nicht aus Staatsräson, sondern wegen des stillen Widerstandes in der Nachkriegsgesellschaft gesellschaftlicher Kräfte, fast niemanden zurückgeholt hat. In der DDR war es partiell anders, aber willkommen waren dort auch nur die in der Sowjetunion exilierten linientreuen Kommunisten.
Wann ist das Museum fertig?
Wir hoffen 2025.
Ist die architektonische Gestalt schon geklärt?
Das Haus soll nahe dem Portikus des früheren Anhalter Bahnhofs entstehen. Das war ja der Berliner Hauptbahnhof bis zum Zweiten Weltkrieg, von dem aus viele Verfolgte ihre Flucht begannen. Der Architektenwettbewerb wird für Herbst- und Winter vorbereitet. Finanziert werden die Vorbereitungen von dem Berliner Mäzen Bernd Schultz, dem Gründer des Villa Grisebach-Auktionshauses.