Konzertkritik

Neil Young in Berlin - Ernüchternde Durchschnittlichkeit

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Sebastian BLottner
Neil Young im Konzert (Archivbild)

Neil Young im Konzert (Archivbild)

Foto: imago stock&people / imago/ZUMA Press

Neil Young in der Waldbühne zeigt, dass teure Tickets nicht unbedingt auch ein gutes Konzert bedeuten.

Berlin.  Die Waldbühne ist und bleibt ein Ort mit einzigartiger Atmosphäre. Legendäre Musiker und Bands, die anderswo leicht ein deutlich größeres Publikum anziehen würden, treten immer wieder gern gerade hier auf. Die Rolling Stones zum Beispiel. Am Mittwochabend war es Neil Young, der auf seiner Mini-Deutschlandtournee hier haltmachte. Ganz ausverkauft war sein Konzert nicht, so dass die Abendkasse noch Karten vorhielt. Voll genug für einen rauschendes Fest aber allemal.

Für elektrisierende Auftritte ist Neil Young nachweislich der Richtige. Folk-Urgestein, Wegbahner des Grunge, Ikone des Gitarrenrock – der unangepasste Woodstock-Überlebende ist ein großer Künstler und ein herausragender Live-Performer. Als Mitglied verschiedener Formationen schrieb der gebürtige Kanadier Musikgeschichte. Am bekanntesten war die Alphatier-Ansammlung Crosby, Stills, Nash & Young sowie die Garage-Band Crazy Horse.

Nel Young legte müde los - Dampferfahrt statt Rockkonzert

Die Ankündigung, Young würde in die Waldbühne kommen, ließ Rockerherzen folglich höher schlagen. Im Abendsonnenschein, in dem noch große Teile der Ränge beim Auftakt-Song „My Country Home“ lagen, musste ihr Puls aber erst einmal herunterfahren. Es ging müde los, die Stimmung im Rund erinnerte eher an eine Dampferfahrt als an ein Rockkonzert: Irgendwie hat man gute Laune, es passiert auch etwas, aber ebenso wichtig wie das Kulturprogramm sind auch Bratwurst, Bier und Freunde.

Young tat wenig, um dem entgegenzuwirken. Bis auf die zwei hohlen Phrasen „How are you doing” und „You got a nice place here” findet keinerlei Kommunikation mit dem Publikum statt. Das ist ärgerlich, stellt sich doch bald das Gefühl ein, hier möchte jemand nur schnell wieder ins Hotel. Ein Konzert „zu rocken“ und ein Konzert nur „herunterzurocken“, zwischen diesen beiden Varianten aber liegen Welten.

Sicher, der 73-Jährige schafft es nach wie vor, mit ein paar Saitenschlägen Tausende Arme in die Luft zu befördern. Frühzeitig nach dem Eröffnungsblock spielt er mit umgehängter Mundharmonika eine sparsame Version von „Helpless“, diesem Crosby, Stills, Nash & Young-Klassiker, und hat die Waldbühne erstmals ganz bei sich.

„Old Man“, Heart Of Gold“ und „Word“ vom Album „Harvest“

Gleich danach folgt „Old Man“ von einem seiner bekanntesten Alben, dem 1972 veröffentlichten „Harvest“. In kurzen Abständen folgen zwei weitere Hits von dieser Scheibe, natürlich „Heart Of Gold“ sowie „Words (Between The Lines Of Age)“.

Begleitet wird Young von der Band Promise of the Real, deren Frontmann Lukas Nelson niemand anders ist als der Sohn von Countrylegende Willie Nelson. Das erfährt man allerdings nicht, man muss es wissen. Ganz anders als es die Tradition nahelegen würde, wird kein Musiker vorgestellt oder gar mit langen Soli gefeatured. Auch an dieser Stelle regiert Wortlosigkeit.

Neil Young in der Waldbühne - der Knoten platzt spät

Young war immer schon extrem vielseitig und oft genug avantgardistisch in seinem Schaffen. Das lässt er hören und spielt sich im Laufe des Abends auch immer besser ein. Dabei sind die psychedelischen Momente wie in „Walk On“ mit zupackenden Soli und oft genial simplen Hooklines die besseren Momente verglichen mit den folkigen. Angetan mit schwarzem Hut, offenem ollem Karohemd und schwarzer Jeans tappt Young im Takt zu seinen Songs auf die Bühnenbretter und gibt den klassischen Antihelden.

Das ist nicht unsympathisch, trotzdem dauert es lange, bis der Knoten endgültig platzt. Mit „My My, Hey Hey (Out Of The Blue)” klappt es schließlich. Die Rockerposen werden prägnant, Schlagzeugwirbel stürzen die Band in Choruswiederholungen, der erste wirklich stürmische Applaus brandet auf. Da ist es aber auch schon 21 Uhr und deutlich mehr als die Hälfte des Konzertes vorbei.

Bei „Rockin’ In The Free World“ bebt die Waldbühne doch noch

Egal, wenigstens bekommt das Publikum jetzt, was es erwartet. Songs, die in ellenlange Jams ausarten und bei denen die vergleichsweise jungen Musiker im Takt um den Altmeister herumhüpfen. Derart wird zum Beispiel „The Book Of Love“ abgefeiert und das Publikum zieht dankbar mit. Allmählich wird so der beste Moment des Abends aufgebaut, der wenig überraschend mit „Rockin’ In The Free World“ gekommen ist.

Jetzt bebt die Waldbühne doch. Klar definierte Riffs fahren direkt in den Magen, und Youngs Stimme ist voll da. So sorgt einer seiner größten Hits schlussendlich für den krönenden Abschluss des Konzertes, das mit der Zugabe „Roll Another Number“ vom Album „Songs For Judy“ früh vorbei ist.

Ernüchternde Durchschnittlichkeit des Konzerts von Neil Young

Der Abend hatte also durchaus seine Momente. Wessen Herz fest an den Alben und den vielen unvergesslichen Songs von Neil Young hängt, der wird nicht enttäuscht sein. Der Nimbus von Neil Young, einer der größten Ikonen der Rockgeschichte, kann die ernüchternde Durchschnittlichkeit dieses Konzertes überstrahlen. Viele werden auch einfach froh sein, Young (noch) einmal live erlebt zu haben.

Dem ein oder anderen aber wird es durchaus leid tun um das liebe Geld. Bei Eintrittspreisen von einhundertzwanzig Euro macht dieser Auftritt einmal mehr deutlich, dass die Gleichung je teuer das Ticket, desto besser das Konzert, beileibe nicht immer zutrifft.