Berlin . Am 20. Juni wäre der Komponist Jacques Offenbach 200 Jahre alt geworden. Eine Würdigung.
Am 200. Geburtstag des berühmtesten Operettenkomponisten der Welt am kommenden Donnerstag wird an Berliner Bühnen kein einziges Stück von Jacques Offenbach an Berliner Opernbühnen gespielt werden. Dass Offenbachs Oper „Les contes d’Hoffmann“ – zu deutsch „Hoffmanns Erzählungen“ – immerhin in dieser Saison an der Deutschen Oper Berlin einmal wieder eine Premiere erlebte, ist ein schwacher Abglanz des Stellenwerts, welchen Offenbach in seiner Wahlheimat Frankreich genoss und genießt.
Gerade der „Hoffmann“ ist in Frankreich die meistgespielte Oper nach Georges Bizets „Carmen“, also in ihrer Funktion für das nationale klassische Operngeschäft ungefähr so wichtig wie in Deutschland „Die Zauberflöte“ und „Der Freischütz“. Offenbach, der hochgewachsene einstige Grandseigneur des populären Musiklebens am Pariser Boulevard mit seinen trotz schütteren Haars charakteristischen Locken und der unverwechselbaren Nickelbrille, dem Stock, auf den er sich jahrelang aufgrund eines Gichtleidens stützen musste, er konnte selbst gegen Ende seines Lebens in den 1870er Jahren eines solchen unsterblichen Erfolgs kaum sicher sein. Desillusioniert musste er beobachten, wie nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870 die Pariser Bühnen ihm demonstrativ den Rücken kehrten.
Durch die nicht gerade zahllosen Aufführungen in Deutschland aufgrund des hiesigen Theatergeschmacks sowie antisemitischer Vorurteile wurde das Abebben des Pariser Erfolgs nicht ausgeglichen. Doch in Offenbachs Künstlerseele konnte sich zum Lebensende hin nur deshalb das lähmende Gefühl des Verkanntseins breitmachen, weil für ihn über Jahrzehnte etwaige Misserfolge in Paris, ja in Europa nahezu unbekannt waren. Eine Momentaufnahme wenige Jahre zuvor: Mochte die pompöse Pariser Weltausstellung des Jahres 1867 mit ihrem künstlichen See und ihren futuristischen Eisenkonstruktionen dem schwer angeschlagenen Régime Napoleons III. kaum noch Glanz verleihen – die Herzen der Pariser flogen der gleichzeitig am Théâtre des Variétés erscheinenden „Großherzogin von Gerolstein“ ebenso zu wie allen Offenbach-Premieren der Vorjahre.
Die Offenbachiade als Abrechnung mit Kleinstaaterei und Militarismus
Der Grundtypus der Offenbachiade wurde hier zementiert, und dazu gehört in der „Großherzogin“ der politische Kommentar: Es ist eine kapriolenreiche Abrechnung mit Kleinstaaterei, Militarismus, abgetakeltem Hofschranzentum, mit der Willkür der Mächtigen gegen die Machtlosen. Satirische Püffe muss nicht nur das zeitgenössische Deutschland einstecken. Auch die Hofhaltung Napoléons III. wurde getroffen und seine Kriegslüsternheit. Die dummdreisten, brutalen Höflinge Boum, Puck, Paul und Grog zeigt Offenbach gemeinsam mit seinen kongenialen Textautoren Meilhac und Halévy als singende Fossilien eines immerdar gewesenen Politik mit Machtmissbrauch und Kanonen. Jedoch wirken sie wie starre Kabarettfiguren, absichtlich ohne glaubhafte Psychologie geführt, die aus der eigentlichen Handlung des jeweiligen Stücks herauszufallen scheinen. Das gleiche gilt für den mörderische Titelhelden in Offenbachs „König Blaubart“, ein traditionelles Paradestück auch der Komischen Oper Berlin seit den Zeiten der DDR-Regielegende Walter Felsenstein, und heute wieder im Repertoire des Hauses.
„O Offenbach, vor deinem Narrenchor“, dichtete der berühmte Wiener „Fackel“-Herausgeber Karl Kraus, „wie lahmt die Welt, die deinem Ton verschlossen! / ich öffne Blaubarts Grabgesang mein Ohr.“ Kraus, der Offenbachs musikdramatische Aufspießung alles Säbelrasselns dieser Erde kurz vor dem Ersten Weltkrieg posthum noch einmal hochleben ließ, hat bei Offenbachs Werken konsequent nicht von „Operetten“, sondern von „Offenbachiaden“ gesprochen – für Offenbach selbst war übrigens das Wort „Operette“ ursprünglich gar nicht gebräuchlich, er nannte seine Stücke „Opéras-bouffes“.
Kraus seinerseits wollte einen Unterschied wissen zwischen den in seinen Augen aufgeblähten und künstlich mit Vernünftigkeit und Sinn vollgestopften Wiener Operetten wie „Fledermaus“ und „Zigeunerbaron“ von Johann Strauss Sohn einerseits und andererseits Offenbachs französischen Nonsense-Feuerwerken mit spärlich besetztem Orchester und antipsychologisch-starr scheinenden Bühnencharakteren.
Erster ausländischer Student am Pariser Conservatoire
Wie wurde Jacques Offenbach, ein deutscher Cellist aus jüdischem Elternhaus, rund vierzig Jahre nach seiner Geburt am 20. Juni 1819 in Köln-Deutz, zum nahezu meistgespielten, unstrittig bestverdienenden Opernkomponisten Frankreichs, wiewohl seine größten Erfolge nicht mal im ernsten musikalischen Drama lagen? Sein Vater nahm den 14-Jährigen und den vier Jahre älteren Bruder mit nach Paris, um dort schnell den Widerstand des allmächtigen Luigi Cherubini zu brechen: Der hochbegabte junge Offenbach durfte als erster und einziger Ausländer am berühmten Pariser Conservatoire studieren. Selbst Franz Liszt war diese Ehre einige Jahre zuvor verweigert worden.
Dass Offenbach später, nach Jahren in Orchestergräben und an Dirigierpulten kleiner Pariser Varietés, seine wahre Meisterschaft in der musikalischen und textlichen Parodie der „wahren“ Kunst, der damaligen Hochkultur mit ihren hehren Griechen und starken Germanen fand, hatte er wohl ebenfalls seinem Vater, dem Kölner Synagogensänger und Lehrer Isaac Offenbach zu verdanken. Nach jüdischer Spielmannsart hatte Vater Offenbach so manche volkstümliche Melodie in seine synagogale Vortragskunst übernommen, Webers „Freischütz“ liebte er.
Und er nahm den kleinen Jakob mit zum Kölner Karnevalstheater. Die Verulkung des antiken olympischen Götterreichs, die Verspottung mittelalterlichen Sagengutes und nicht zuletzt die Parodie auf das moderne städtische Leben und auf alle, die sich darin zu ernst nahmen – mit dieser geistigen Mitgift aus seiner rheinischen Heimat sollte Jacques Offenbach von Paris aus zum erfolgreichsten Theaterkomponisten Europas werden.