Die besten Geschichten schreibt das Leben ja immer dann, wenn es ein kleines bisschen aus dem Ruder läuft. Lucie allerdings hat einen erfolgreichen Mann, eine schöne Wohnung in bester Pariser Lage und ein Chalet in den Bergen. Das ist in ihrem Fall geradezu existenzbedrohend perfekt. Sie ist nämlich Theaterautorin und hat bislang sehr erfolgreich Stücke geschrieben über das, was in ihrem Leben schieflief. Nun läuft alles rund und Lucie hat eine handfeste Schreibblockade: „Ich habe nichts mehr zu erzählen, es geht mir zu gut.“
Das ist die Ausgangslage der französischen Komödie „Alles was Sie wollen“ – geschrieben vom Erfolgs-Duo Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patallière – die die Komödie am Kurfürstendamm in ihrem derzeitigen Ausweichquartier am Schiller Theater zeigt. Gespielt und in Szene gesetzt von sehr bewährten Stammgästen des Hauses: Auf der Bühne stehen Nora von Collande in der Rolle der Lucie und Herbert Herrmann, der bei der Inszenierung auch Regie führte, als Nachbar Thomas. Seit fast 50 Jahren ist er, der just am Premierenabend seinen 78. Geburtstag feierte, den Kudammbühnen schon verbunden. Regelmäßig traten die beiden, die auch privat ein Paar sind, dort in den letzten Jahren gemeinsam auf.
Diese Vertrautheit ist auf der Bühne zu spüren, bei einem Zwei-Personen-Stück muss das Timing perfekt stimmen, da muss man auf Augenhöhe parieren. Das klappt hier hervorragend, besonders in der zweiten Hälfte, wenn auch die Figuren sich schon vertrauter geworden sind. Anfangs lernen sich die Lucie und Thomas gerade erst kennen. Anlass ist ein Schaden an ihrer Badewanne, der seiner Zimmerdecke Probleme bereitet. Gut dosiert gibt Nora von Collande dabei die kratzbürstige, leicht kapriziöse Autorin, Herbert Herrmann den empathischen, menschenfreundlichen Steuerberater. Man ist sich zunächst nur mäßig sympathisch, dann ein bisschen mehr und isst sogar irgendwann regelmäßig gemeinsam zu Abend, weil Lucies Gatte gerade unterwegs ist und Thomas ein ziemlich gutes Frikassee kann.
Diese Annäherungsphase gerät insgesamt ein kleines bisschen zu glatt, auf jeden Fall deutlich gemächlicher als die zweite Hälfte, in der das Stück dann ordentlich Fahrt aufnimmt, weil sich jetzt seine wirklich raffinierte Konstruktion offenbart. Thomas und Lucie erfinden einen Liebhaber, der ihren Mann ärgern und Lucie damit Stoff für ein neues Stück liefern soll.
Gemeinsam proben sie die Sache durch. Und merken, ebenso wie das Publikum, erst langsam, wie hier, allein aus ihrer Vorstellungskraft heraus, ein neues Stück im Stück entsteht. Das führt zwar einerseits zu Komplikationen, weil irgendwann nicht mehr klar ist, wem hier eigentlich welche Geschichte gehört, beschwört aber gleichzeitig ganz wunderschön eben jene Kraft der Imagination, aus der Theater im Kern ja immer entspringt.
Abend punktet mit stimmungsvoller Atmosphäre
In vielen, oft ganz kurzen Sequenzen wird das nach und nach ausgebreitet, dazwischen werden Szenenfotos auf den Vorhang projiziert, vielleicht aus dem Stück, das gerade auf der Bühne läuft, vielleicht auch aus dem, das dort gerade erfunden wird. Eine schöne Idee. Auch sonst punktet der Abend mit stimmungsvoller Atmosphäre. Zu perlenden Pianoklängen leuchtet durch die bodentiefen Fenster der stilvollen Altbauwohnung die Silhouette von Paris herein.
Applaus gibt es am Schluss gleich doppelt. Zunächst von der Leinwand, wo als filmischer Einspieler der Premierenabend von Lucies neuem Stück bejubelt wird. Und danach dann auch im Saal des Schiller Theaters, ganz in echt und deutlich üppiger.