Jetzt dreht sie auch noch. Katharine Mehrling ist ohnehin ein Multitalent und Tausendsassa. Im Schau- und Singspiel ist sie so zuhaus wie auf der Konzertbühne. Mal singt sie Muscials und Operette, mal Chansons, Jazz und eigene Lieder. Und das mit einer Stimme und einer Bandbreite, die immer wieder umhaut.
Aber jetzt hat sich die 44-Jährige noch einen anderen Traum erfüllt. Und hat ihren ersten Film gedreht. Ein Musikclip zu ihrem Song „Die Straßen von Berlin“.
Einsame Seelen, die sich nach Liebe sehnen
Bekannte Motive: Alexanderplatz, Brandenburger Tor, Warschauer Brücke, der Lietzensee, wo sie lange gewohnt hat. Die Stadt in Schwarzweiß. Einzig das Ampelmännchen hat Farbe. Und doch sind es keine touristischen Postkartenbilder. Es fehlen die fröhlichen Gesichter dazu. Ein junger Mann läuft allein durch die Straßen. Eine ältere Frau ebenso. Menschen, die sich nach Aufmerksamkeit, nach Zuneigung sehnen.
Dazwischen wandelt die Mehrling, die sie liebevoll betrachtet. Und auch auf der Suche scheint. Ein Musiker stellt im Park eine Tischplatte auf, spielt darauf wie auf einem Keyboard. Dann setzt die Musik ein. Und Mehrlings Gesang: „Ich kann nicht bleiben / Mein Herz nicht zeigen / Ich will nicht flieh’n / Doch muss ich weiterziehn / Durch die Straßen von Berlin“.
Der Song ist eine Hymne auf ihre Stadt. Da, wo die Sängerin regelmäßig Triumphe feiert, in der Komischen Oper, in der Bar Jeder Vernunft, im Schlosspark Theater. Die Stadt, in der sie schon fünf Goldene Vorhänge gewonnen hat. Aber es ist eine Hymne in Moll. Denn es geht auch um die einsamen Seelen, die sich verlieren in der riesigen Metropole.
Moment mal, da gibt’s doch schon ein ähnliches Chanson? Natürlich muss man an Marlene Dietrich denken und an „Allein in einer großen Stadt“. Ein Klassiker, mit dem sich die Mehrling gar nicht messen will. Aber Einsamkeit ist halt ein ewiges Thema.
Ein trauriges Symptom der digitalen Welt
Erst recht in der heutigen, digitalen Welt, wo das noch mal ganz andere Dimensionen angenommen hat. Wo die Menschen nur noch auf ihre Handys starren, sich auch nur noch über Apps kennenlernen. Und gerne weg- und weiterwischen, zur nächsten möglichen, besseren Wahl. Und verlernt haben, sich zu öffnen, aufeinander einzulassen, überhaupt zu kommunizieren.
Immer mehr junge Menschen verlassen Berlin wieder. Weil es hier, wo so viele Menschen wohnen, immer schwieriger wird, jemanden kennenzulernen. Und auch anderswo vereinsamen immer mehr Menschen. In Großbritannien gibt es seit einigen Monaten sogar ein Ministerium für Einsamkeit. Ein bezeichnendes Symptom unserer Zeit.
Katharine Mehrling ist selbst lange allein gewesen, als sie diesen Song vor anderthalb Jahren geschrieben hat. Dazu hatte sie gleich Bilder im Kopf. Als sie den Song dann aufgenommen hat, mit dem Pianisten Paul Hankinson und auch gleich noch mit dem Filmorchester Babelsberg, da war es nur noch ein Schritt mehr, die Bilder auch abzufilmen.
Und lauter Freunde haben mitgemacht
Viele Freunde haben dabei mitgewirkt: die Schauspielerin Dagmar Biener, mit der die Mehrling oft auf der Bühne stand, der Musicaldarsteller Uli Scherbel, einer ihrer engsten Freunde, und der Filmschauspieler Jannik Schümann.
Das Lied ist auf Youtube abrufbar. Die Mehrling singt es derzeit auch in der Bar jeder Vernunft, wo sie bis 26. Mai ihr Programm „Vive la vie“ gibt. Für die Sängerin hatte das Lied übrigens ein Happy End. Kurz nachdem sie es geschrieben hat, hat sie sich verliebt. In den Schauspieler Tilman Kuhn. Der tritt nun auch im Musikclip auf. Sie begegnen sich da am Bodemuseum. Und küssen sich. Der Song ist damit auch eine Hymne auf die Liebe und die Chance der Begegnung – wenn man sie zulässt.