Gewinner des Warschauer Chopin-Wettbewerbs haben es auch nicht gerade leicht. Krystian Zimerman zum Beispiel, Goldmedaille 1975. Noch heute murren seine Fans, wenn der polnische Pianist mit einem uninspirierten Schubert-Programm nach Berlin kommt. Noch heute heißt es dann: „Schade, hätte der Zimerman mal lieber Chopin gespielt.“ Und tatsächlich wird Zimerman demnächst wieder Chopin im Gepäck haben – Mitte Juni, auf Einladung der Philharmoniker.
Emphatisches Schnaufen
Zuvor allerdings ist erstmal ein sehr viel jüngerer Gewinner des Chopin-Wettbewerbs zu erleben, ebenfalls auf Einladung der Philharmoniker: der Südkoreaner Seong-Jin Cho, Jahrgang 1994. Und der tut momentan sehr viel, um ja nicht als Chopin-Spieler wahrgenommen zu werden. Bestes Beispiel: Chos Solo-Debüt im Kammermusiksaal. Ein Tastenlöwen-Abend mit Schuberts „Wanderer-Fantasie“, kleineren Stücken von Debussy und Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“.
Doch die Leidenschaft und virtuose Pranke möchte man Cho zu Beginn noch nicht so recht abnehmen. Jedenfalls nicht im ersten Teil der „Wanderer-Fantasie“. Denn der klappt wie am Schnürchen und strahlt Mühelosigkeit aus – während Cho mit emphatischem Schnaufen und intensivem Körpereinsatz eigentlich das Gegenteil glauben machen möchte.
Viel Show bei großem Können
Umso überzeugender wirkt er dafür aber zu Beginn des dunklen Adagios. Weil Cho hier ganz bei sich und der Musik ist. Und weil seine filigrane Klangkunst und sinnliche Wärme ziemlich süchtig machen kann. Ein Gefühl, das sich dann später in den ruhigeren Debussy-Stücken wiederholt: in der „Hommage an Rameau“ ebenso wie im berühmten „Mädchen mit den Flachshaaren“. Und spätestens jetzt verzeiht man auch Chos Virtuosen-Show drum herum. Eine Virtuosen-Show, die übrigens entfernt an Daniil Trifonov erinnert.
Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Trifonov brennt auf der Bühne wie ein echter Besessener. Cho dagegen scheint nur eine Rolle zu spielen. Er könnte jederzeit auch anders, wenn er wollte. Aber trifft das auch auf Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ zu? Cho spielt sich hier in einen regelrechten Rausch, geht bis an die Grenzen des Machbaren.
Da ist einerseits der wuchtige Ochsenkarren „Bydló“, der bei Cho vor Spannung fast zerbirst. Da ist das ultra-feinmotorische „Ballett der Küken“. Und dann wieder die Gewaltexzesse im „Großen Tor zu Kiew“, bei dem gleich mehrere Steinway-Saiten zu reißen drohen. Kurzum: Nichts für empfindliche Ohren und schwache Nerven.
Das Publikum wirkt bedient hinterher. Es hat gerade genug Kraft für eine Zugabe. Während Cho wiederum so fit scheint, als könnte er ohne Probleme eine Bach-Busoni-„Chaconne“ und Balakirevs „Islamey“ nachschieben. Doch Cho ist gnädig: Noch einmal zeigt er sich von seiner sinnlich-filigranen Seite und beruhigt die Publikumsgemüter – mit Brahms‘ A-Dur-Intermezzo op. 118 Nr. 2.